Powerlifting in der Schweiz: Von der Rand- zur Trendsportart

Powerlifting

Foto: Dedicated Sports

Schwergewichtige Männer, die das Squatrack mehrere Stunden besetzen, den Boden im Gym mit Magnesium verunstalten und mit sämtlichen Gewichtsscheiben Kniebeugen machen, bis ihnen das Blut aus der Nase schiesst. Dies dürfte für viele Studiogänger noch vor einigen Jahren ein gängiges Bild gewesen sein, hätte man sie zu Powerlifting befragt. Doch die Zeiten haben sich geändert. Powerlifting in der Schweiz befindet sich auf dem besten Weg von der Rand- zur Trendsportart: Fünf Gründe, die dazu beitragen.

 

Powerlifting gewann in den letzten Jahren zunehmend an Popularität. Die Google-Suchanfragen in der Schweiz zum Thema Powerlifting haben sich im letzten Jahrzehnt ungefähr verdoppelt, während die Nachforschungen zum Thema Bodybuilding rückläufig sind. An Wettkämpfen geht es darum, in den Disziplinen Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben bei jeweils drei Versuchen grösstmögliche Lasten zu bewegen, wobei der oder die Teilnehmende mit dem höchsten Total in der entsprechenden Gewichtsklasse gewinnt. Im Jahr 2012 haben in der Schweiz gemäss der Datenbank von openpowerlifting.org 96 Personen an mindestens einem Powerlifting-Wettkampf teilgenommen.

 

Dieses Jahr gab es über die drei Powerlifting-Verbände Swiss Powerlifting, Kraftdreikampfverband Schweiz (KDKS) und Swiss Drug-Free Powerlifting Federation (SDFPF) gesehen bereits über 260 aktive Athletinnen und Athleten. Während die Teilnehmenden früher vor allem in der Einzeldisziplin Bankdrücken gestartet sind, gab es in den letzten Jahren einen deutlichen Wechsel hin zu Full-Powerlifting-Meets (Kniebeuge, Bankdrücken und Kreuzheben). Auch die Leistungen von Schweizer Athletinnen und Athleten können sich sehen lassen. So gewann beispielsweise Sean Koch an der diesjährigen Weltmeisterschaft der International Powerlifting Federation (IPF) mit einer Kniebeuge von 370 kg eine Silbermedaille in dieser Disziplin und Rene Caky vermochte 2021 mit 233.5kg im Bankdrücken gar einen Weltrekord aufzustellen. Dieses Jahr konnte man die Weltmeisterschaft bei Eurosport sogar live am Fernsehgerät mitverfolgen. Doch nicht nur an nationalen oder internationalen Wettkämpfen, sondern auch in vielen Fitnessstudios trifft man immer mehr Menschen an, die Powerlifting betreiben und ihre Kraftwerte in den Grundübungen steigern wollen. Nachfolgend möchte ich fünf Gründe nennen, die meiner Meinung nach dazu beitragen, dass Powerlifting in der Schweiz und auch weltweit das Potenzial zur Trendsportart hat.

1. Objektivität und Leistung

Als ich vor rund zehn Jahren mit dem Kraftsport begann, hatte ich wohl dasselbe Ziel wie so viele Studiogänger: Ich wollte Muskeln aufbauen, Fett verlieren und besser aussehen. In den ersten Monaten und Jahren waren dabei markante Fortschritte erkennbar. Über die Zeit wurde es aber immer schwieriger, Veränderungen wahrzunehmen. Ich konnte selbst kaum mehr beurteilen, ob sich meine Form nach einer Aufbauphase und einer anschliessenden Diät verbessert hat.

 

Sprich: Es fehlte mir ein gewisses Mass an Objektivität. Hier kam Powerlifting ins Spiel. Bei Powerlifting handelt es sich um einen Leistungssport und nicht um einen Schönheitswettbewerb. Es kann objektiv beurteilt werden, wer das meiste Gewicht bewegt und ob das Training funktioniert. Die Hantel lügt nicht. Dies sehe ich als einen willkommenen Gegenpol in Zeiten von unrealistischen Schönheitsidealen und Fake-Bildern auf Social Media. Die Optik – wenn auch sekundär – kommt aber auch beim Powerlifting nicht zu kurz. Wer mit dem Ziel trainiert, stärker zu werden, baut über kurz oder lang auch viel Muskulatur auf und ein zu hoher Körperfettanteil ist eher hinderlich, wenn es darum geht, in einer Gewichtsklasse kompetitiv zu sein.

2. Ein Sport für jede und jeden

Powerlifting ist ein Sport für jede und jeden, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Gewicht. An der diesjährigen Schweizermeisterschaft des KDKS haben beispielweise neben 45 Männern auch 25 Frauen teilgenommen. Der Frauenanteil an Wettkämpfen hat sich in den letzten sechs Jahren rund verdreifacht und ist in der Tendenz steigend. An Wettkämpfen gibt es verschiedenste Gewichtsklassen und Alterskategorien. Wohl kaum einen anderen Sport auf der Welt kann man so lange kompetitiv und auf solch hohem Niveau betreiben wie Powerlifting. Das wohl eindrücklichste Beispiel hierfür dürfte der Amerikaner David Ricks sein, der im 62. Lebensjahr und nach mehr als 40 Jahren Wettkampferfahrung immer noch über 300 kg kniebeugt. Sein Beispiel zeigt, dass es nie zu spät ist, um stärker zu werden. Auch andere Sportlerinnen und Sportler können vom Powerlifting-Training profitieren. Kraft bildet eine wichtige Grundlage in sehr vielen Sportarten. Wer schneller rennen, höher springen oder weiter werfen will, muss letzten Endes auch stärker werden, was Powerlifting auch für diese Zielgruppe interessant macht.

3. Abwechslungsreiches Training

Powerlifting-Training umfasst weit mehr als nur Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben. Wie in vielen anderen Leistungssportarten wird oftmals Trainingsperiodisierung betrieben und die Trainingsparameter, wie Volumen und Intensität, werden auf die jeweiligen Ziele angepasst. In Hypertrophie-Phasen geht es darum, Muskulatur und Arbeitskapazität aufzubauen und so das Fundament für mehr Kraft zu legen. Die Kraft-Phasen haben zum Ziel, die Kraft in den Competition-Lifts zu steigern und die Technik zu verfeinern. In der Peaking-Phase – kurz vor dem Wettkampf – geht es schliesslich darum, den Körper an maximale Lasten zu gewöhnen, um am Wettkampftag seine Höchstleistung abrufen zu können. Regelmässige und gezielte Deloads sind ebenfalls unabdingbar, um angehäufte Ermüdung abzubauen und weiterhin Fortschritte zu erzielen.

 

Spezifische Schwachstellen können mit einer Vielzahl von Übungsvariationen angegangen werden. Um im Powerlifting erfolgreich zu sein, bedarf es einer intelligenten Planung und gerade das macht Powerlifting als Sport abwechslungsreich und spannend. Man hat nie ausgelernt und kann stetig Neues ausprobieren.

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4. Mentale Stärke und Selbstbewusstsein

Jeder Powerlifter kennt es. Man befindet sich am Wettkampf und ist an der Reihe mit der letzten Kniebeuge. Alle Augen sind auf einen gerichtet und man bewegt sich langsam auf eine Hantelstange zu, auf der ein Gewicht lastet, das man bisher noch nie bewegt hat. Man hebt die Stange aus dem Rack, wartet auf das Squat-Kommando und geht dann langsam in die Knie, nicht wissend, ob man mit diesem Gewicht wieder aufstehen kann.

 

So etwas setzt ein hohes Mass an mentaler Stärke voraus und spätestens, wenn man so einen Versuch geschafft hat, wird sich dies sehr positiv auf das Selbstbewusstsein auswirken. Nicht nur der Sport, sondern auch unser Alltag stellt uns immer wieder vor Herausforderungen, unwissend, ob wir sie schaffen werden oder nicht.

 

Die mentale Stärke und das Selbstbewusstsein – in vielen Trainings und Wettkämpfen erarbeitet – werden uns aber auch hier helfen, solche Situationen erfolgreich zu meistern. Dies ist etwas Einzigartiges und macht Powerlifting und Kraftsport zu einem enorm wichtigen Bestandteil im Leben vieler Sportlerinnen und Sportler.

5. Enorm starke Community

Der wohl wichtigste Faktor für den Erfolg von Powerlifting in der Schweiz ist die enorm starke Community. Derzeit zählt der Kraftdreikampfverband Schweiz (KDKS) rund 20 Mitgliedervereine.

 

Diese leisten einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung des Sports in der Schweiz, indem sie Interessierten einen Einstieg in die Powerlifting-Szene ermöglichen und sie bei Wettkampfteilnahmen unterstützen. Selbiges gilt für die zwei anderen Dachverbände Swiss Powerlifting und SDFPF.

 

Über Social Media steht man in Kontakt mit Powerliftern aus der ganzen Schweiz, die einen motivieren oder wertvolle Tipps geben. An Wettkämpfen mit vielen Zuschauenden herrscht jeweils eine grossartige Stimmung und es ist völlig normal, dass einen selbst die eigenen Konkurrenten bei den Versuchen anfeuern. Dies ist bei anderen Sportarten nicht immer selbstverständlich.

 

Auch Anfänger sind jederzeit herzlich willkommen und es bietet sich regelmässig die Möglichkeit, bei kleineren Vereinswettkämpfen erste Wettkampfluft zu schnuppern. Dabei spielt es absolut keine Rolle, wie stark du bist. Sobald du die Technik der Lifts beherrschst, bist du bereit teilzunehmen. Ein Wettkampf ist immer das beste Training.

 

Natürlich ist diese Liste nicht abschliessend und es gibt noch viele weitere gute Gründe, die dafürsprechen, dass Powerlifting den Weg von der Rand- zur Trendsportart schaffen wird oder bereits geschafft hat. Aber am besten überzeugst du dich selbst. Der Powerlifter Mark Bell meinte einst ziemlich treffend: «Strength is never a weakness.»

 

In diesem Sinne: Hast auch du Lust auf Powerlifting bekommen? Möchtest du stärker werden, deine Technik verbessern oder an einem Wettkampf teilnehmen? Unser Verein, Powerlifting Nordostschweiz (KDKS), oder einer der anderen Verbände (Swiss Powerlifting, SDFPF) unterstützt dich gerne dabei. Ganz egal, ob Anfänger oder Profi, wir freuen uns auf dich!

 

 

Über den Autor:

Sandro Gassner ist 27 Jahre alt und betreibt seit rund 10 Jahren Kraftsport. 2018 absolvierte er seinen ersten Powerlifting-Wettkampf bei den Junioren. 2020 war er Schweizermeister in der Kategorie – 93 kg Open. Seit 2020 ist er Präsident von Powerlifting Nordostschweiz – einem Mitgliederverein des KDKS.

 

Du willst noch mehr zum Thema Powerlifting? Verpasse nicht das Interview mit Daniele Pauli.