Finde die besten Übungen für maximale Ergebnisse

Die richtigen Übungen finden

Foto: moglitv

Wer kennt sie nicht, diese lustigen Internet-Videos, wo unwissende Studiomitglieder sonderbare Übungen ausführen? – Und man sich fragt: Was wird da eigentlich trainiert? Manchmal wird gar nichts effektiv trainiert und es sieht einfach nur lustig aus; manchmal hat sich tatsächlich jemand Gedanken gemacht und eine für sich «neue Übung» erfunden. Zuweilen werden die vermeintlich «neuen Übungen» einfach nachgeahmt, bis sie schliesslich zu einer Art «Hype» geworden sind und die halbe Welt sie einmal machen will. Mit Effektivität hat dies oft aber nichts zu tun.

 

Yannis Karrer ist diplomierter Arzt aus der Schweiz. Er arbeitet hauptberuflich als Online Coach – Spezialgebiete Muskelaufbau und Bodybuilding. Nebenbei ist er in der Forschung tätig mit Schwerpunkt «Sportpsychiatrie». Yannis Karrer ist eine sehr neugierige Persönlichkeit, die sich für verschiedenste Themen interessiert, vor allem aber für den Muskelaufbau.

 

Er will immer genau wissen, wie und warum etwas funktioniert. Nebst dem abgeschlossenen Medizinstudium zählen zu seinen grössten Erfolgen der letztjährige Profiwettkampf-Sieg als Bodybuilder beim WNBF/SNBF European Pro Cup und der 3. Rang im Schwergewicht bei den Profi-Weltmeisterschaften in Las Vegas. Als Nächstes hat sich Yannis Karrer die IFBB Pro Card in der Classic Physique zum Ziel gesetzt.

 

Fitness- und Trainingsübungen gibt es unzählige verschiedene. Vor allem im Fitnessstudio, aber auch zu Hause lassen sich mit nur wenig Equipment bereits dutzende Übungen und Varianten ausführen. Doch sind diese auch effektiv oder schiessen sie am Ziel vorbei?

 

Vor allem für Anfänger ist es gar nicht so einfach, die richtigen Übungen herauszufinden. Welche sind die geeignetsten für mich und wie finde ich sie? Diesem Thema widmet sich Yannis Karrer. Er zeigt dir, wie du die passenden Übungen für dein Workout findest und damit dein Trainingsziel effektiv erreichst.

Wie gelingt sinnvolles, effektives Training?

Für ein sinnvolles und effektives Training braucht es ein definiertes Ziel, um überhaupt geeignete Trainingsmethoden auswählen zu können. Auch wenn sich der Arzt Karrer mit muskelaufbau-spezifischem Training beschäftigt und sich da bestens auskennt, «kann das Ziel des Trainings im Fitness-Studio natürlich auch funktioneller Natur sein», gibt er zu verstehen.

 

Sprich, man strebt zum Beispiel mehr Kraft oder mehr Ausdauer in einem oder mehreren Bewegungsmustern an, um so in seiner Hauptsportart besser und verletzungsresistenter zu werden.

 

Gesundheitliche Vorteile haben alle Trainingsmodalitäten. Aus medizinischer Sicht wird Erwachsenen – nebst genügend Bewegung im Alltag – ein Minimum von 2-mal pro Woche Krafttraining und 3-mal pro Woche Ausdauertraining empfohlen.

 

Älteren Erwachsenen wird sogar geraten, 3-mal pro Woche die Kraft und zusätzlich 3-mal pro Woche das Gleichgewicht zu trainieren (Haskell, 2007). Letztlich diktieren aber die persönlichen Ziele und Umstände die Trainingsmethodik und nicht umgekehrt!

Wichtigster Grundsatz des Trainings

Der wichtigste Grundsatz eines jeden Trainings ist die sogenannte Spezifität. Eine hohe Spezifität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das gewählte Training eine effektive und effiziente Methode darstellt, um sein persönliches Ziel zu erreichen. Je genauer man sein Ziel kennt, desto spezifischere Methoden können angewandt werden.

 

Ein Beispiel: Wenn es dein Ziel ist, einen grösseren Quadriceps (Beinstrecker-Muskel) zu haben, dann wäre dazu Ausdauertraining auf dem Stepper sehr schlecht geeignet, auch wenn der Quadriceps dort natürlich auch involviert ist (geringe Spezifität). Besser geeignet wäre ein hypertrophie-spezifisches Training mit Übungen wie beispielsweise Kniebeugen, Beinpresse, Beinstrecken an der Maschine und Ausfallschritte.

Der erste Schritt

Ein erster Schritt ist daher immer, sich möglichst genau zu überlegen, was man beabsichtigt. Möchte man eine gewisse Optik erzielen oder stehen gewisse Funktionen wie Ausdauer, Kraft oder Koordination im Fokus.

 

Wenn man nun sein Ziel definiert hat, aber nicht über genügend Kenntnisse der Anatomie, Biomechanik und Physiologie verfügt und sich überfordert fühlt, die angemessene Trainingsmethode und Übung zu wählen, empfiehlt Karrer, sich von einem professionellen Trainer beraten zu lassen.

 

Wenn schon mehrere Trainings-Stunden pro Woche investiert werden, soll es sich schliesslich auch auszahlen! Zeit und Geld können am nutzbringendsten eingesetzt werden, wenn man einen erfahrenen Coach engagiert.

 

Die richtigen Übungen finden

Foto: Ramon Limacher

 

Zuerst einmal ein wichtiger Punkt: Auch bei exakt gleicher Zielsetzung gibt es keine «beste» Übung oder Übungen, die jeder zwingend ausführen sollte. Welches die beste Übung ist, hängt immer von den aktuellen Umständen und Zielen ab. Aber einfach zu sagen, «alles ist individuell», hilft hier nicht wirklich weiter. Daher stellt der Muskelspezialist hier eine kleine Anleitung bereit, mit der du beurteilen kannst, wie nützlich eine Übung tatsächlich ist.

 

Wichtig: Diese Anleitung bezieht sich auf das Ziel des maximalen Muskelwachstums (Optik) und nicht auf Kraft- und Ausdauer-spezifische Leistungssteigerung. Anhand folgender drei Kriterien soll beurteilt werden, wie geeignet eine bestimmte Übung ist:

 

  1. Wie viel Muskelwachstum kann mit einem Satz einer Übung bewirkt werden?

Dies objektiv zu beurteilen, ist sehr schwierig. Dennoch gibt es verschiedene subjektive Parameter, die zur Beurteilung herangezogen werden können: Der Muskelaufbaureiz auf den Zielmuskel ist tendenziell höher, wenn man bei einer Übung die Spannung oder das Brennen im Zielmuskel gut spürt, der Zielmuskel stark aufgepumpt wird, der Zielmuskel schnell Kraft verliert und man im Zielmuskel Muskelkater bekommt.

 

Achtung: Es gibt auch ein Zuviel! Weniger ist auch hier manchmal mehr.

 

  1. Wie viel Ermüdung verursacht ein Satz einer Übung im Vergleich zum Muskelwachstumsreiz?

Selbst wenn eine Übung weniger Reiz (Nutzen) verursacht, kann sie dennoch die bessere Wahl darstellen, wenn die Ermüdung (Kosten) noch geringer ist und man daher einfach mehr von dieser Übung für die gleiche Ermüdung machen kann (besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis).

 

Wie viel Ermüdung eine Übung verursacht, ist objektiv schwierig zu beurteilen. Jedoch gibt es auch hier subjektive Hilfen: Je sehnen- und gelenkbelastender sich eine Übung anfühlt, je mehr mentale Anstrengung ein Satz erfordert, und: Je mehr Leistungsabfall du in nicht-belasteten Muskeln nach der Übung hast, desto mehr Ermüdung bringt eine Übung mit sich.

 

Dazu ein kleines Beispiel: Auch wenn der Bizeps bei Kniebeugen nicht trainiert wird, wird deine Leistung bei Biceps-Übungen nach drei intensiven Sätzen Kniebeugen eher abfallen, als wenn du davor drei Sätze Wadenheben gemacht hättest.

 

  1. Wie lange dauert es, um einen genügend hohen Muskelwachstumsreiz zu setzen?

Selbst wenn eine Übung einen genügend hohen Reiz (Nutzen) verursacht und das bestmögliche Verhältnis von Ermüdung zu Reiz (Kosten-Nutzen-Verhältnis) mit sich bringt, kann eine andere Übung dennoch die bessere Wahl sein. Denn all das ist nutzlos, wenn einem die Zeit dazu fehlt. Wenn du bei einer Übung sehr lange aufwärmen musst, lange Satzpausen benötigst und nur wenige Muskeln gleichzeitig trainiert werden, kann es nämlich sein, dass du dafür schlicht nicht die notwendige Zeitdauer investieren willst oder kannst.

Welche Übungen sollten vermieden werden?

Eine wichtige Grundvoraussetzung für die Tauglichkeit einer Übung für den Muskelaufbau ist, dass man höchstens rund 30 Wiederholungen machen kann. Alle Übungen, die klar mehr als 30 Wiederholungen ermöglichen und sich nicht erschweren lassen, sind für den Muskelaufbau weniger gut geeignet. Sofern also bessere Alternativen vorhanden sind, sollte man solche Übungen daher nicht integrieren, wenn man Muskeln aufbauen möchte.

 

Ein Beispiel: Ein Anfänger kann vielleicht mit Liegestützen noch gut Muskulatur aufbauen, für einen Fortgeschrittenen ist die Übung schlicht zu leicht und er erzielt sehr viel bessere Fortschritte mit Übungen wie Bankdrücken oder Brustpresse. Grundsätzlich gibt es aber keine Übungen, die unter allen Umständen von jedem vermieden werden sollen. Wenn du jedoch bei einer Übung immer Schmerzen verspürst, obwohl du sonst scheinbar alles richtig machst, solltest du zumindest vorübergehend auf diese Übung verzichten, sofern dir schmerzfreie und effektive Alternativen zur Verfügung stehen.

 

Übungsreihenfolge und Häufigkeit

Bezüglich der Übungsreihenfolge macht es Sinn, am Anfang eher Übungen zu machen, die mehr Muskeln gleichzeitig trainieren (Grundübungen) und daher mehr Konzentration und mentale sowie körperliche «Frische» erfordern. Wenn man eine Muskelgruppe (Schwachstellen) jedoch besonders verbessern möchte, sollten Übungen für diese Muskelgruppen auch möglichst früh in einer Trainingseinheit ausgeführt werden, unabhängig davon, ob es sich um eine Grundübung oder eher um eine sogenannte Isolationsübung handelt. Isolationsübungen werden meist in nur einem Gelenk ausgeführt und haben es auf einen spezifischen Muskel abgesehen.

 

Betreffend die Häufigkeit ist Yannis der Meinung, dass man fürs Ziel «Muskelwachstum» meistens besser fährt, wenn die exakt gleiche Übung nicht mehr als einmal pro Woche ausgeführt wird. Das heisst aber nicht, dass jeder Muskel nur einmal pro Woche trainiert werden soll. Wenn ein Muskel mehrfach pro Woche trainiert wird, können entweder verschiedene Übungen oder zumindest leichte Variationen (z.B. Fussposition, Griff Art) der gleichen Übung verwendet werden. Je öfters man die exakt gleiche Übung ausführt, desto höher ist das Risiko der Überlastung, was kontraproduktiv ist. Anders als beim Training für Kraft oder Koordination, besteht beim Muskelaufbau-Training schlicht keine Notwendigkeit, eine Übung mehrfach pro Woche auszuführen.

 

Beispiel: Statt 2-mal pro Woche Kniebeugen und Beinstrecker auszuführen, könnte man einmal Kniebeugen und Beinstrecker machen und das andere Mal Beinpresse und Ausfallschritte.

Und zum Schluss noch dies…

Abschliessend lässt sich sagen, dass – auch wenn die Übungsauswahl, insbesondere für Fortgeschrittenere, wichtig ist – nicht vergessen werden darf: Ein hartes und regelmässiges Training stellt einen viel grösseren Erfolgsfaktor dar als eine möglichst perfekte Übungsauswahl. Denn wenn du nach Lust und Laune Trainingseinheiten ausfallen lässt und die Anstrengung während des Trainings scheust, dann nützt dir auch die perfekte Übungsauswahl nicht viel.

Zusammenfassung

Alle Trainingsmodalitäten haben gesundheitliche Vorteile. Letztlich diktieren aber die persönlichen Ziele und Umstände die Trainingsmethodik. Der erste Schritt ist deshalb immer die Zieldefinition. Der wichtigste Grundsatz eines jeden Trainings ist die sogenannte Spezifität, d.h. das gewählte Training muss eine effektive und effiziente Methode sein, damit deine persönlichen Ziele erreicht werden. Anhand der drei beschriebenen Kriterien kannst du die für dich geeignetsten Übungen herausfinden.

 

Wenn du sie gefunden hast, brauchst du nur noch die Reihenfolge und die Häufigkeit der Übungen festzulegen. Und nicht vergessen: Oberste Priorität hat immer die Ausübung und nicht die Auswahl des Trainings!

 

Autor: Yannis Karrer