Pascal Schroth – im Interview

geführt von Mark Dickenmann

Pascal Schroth präsentiert seine Gürtel als K1 Weltmeister

Foto: Hip Santayon

Pascal «The German» Schroth
WKF Europameister, 3-facher Weltmeister WKU im Kickboxen und Muay-Thai

Mark: Hallo Pascal. Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für ein Interview.

Pascal Schroth: Freut mich ebenso. Danke euch für die Einladung.

Wie bist du eigentlich zum Kampfsport gekommen; wie hat alles begonnen?

Alles begann im Alter von 14 Jahren, als ich noch Fussball spielte – insgesamt fast zehn Jahre lang und dann hörte ich damit auf. Damals hatte meine Mutter einen Freund aus Amerika, der meinte: «Hey Pascal, du solltest wieder mal was machen!» Er nahm mich mit in eine Halle im Industriegebiet, der «Fight Fabrik» Bremerhaven, wo ich am ersten Tag bereits so richtig «auf den Sack bekam». Das hat mich motiviert: Ich ging fast täglich hin und habe nach einiger Zeit praktisch dort gelebt.

Weil meine Eltern die Mitgliederbeiträge sich nicht leisten konnten, habe ich diverse Arbeiten übernommen wie Putzen und Jäten. Ich wurde gut betreut, habe mich ins Team integriert und konnte später auch selbst Gruppen trainieren. Als ich 18 war, konnte ich meinen ersten Profi-Vertrag unterschreiben. Zweimal täglich habe ich trainiert und mich nebenbei um diverse Büroaufgaben gekümmert. Parallel dazu habe ich im gleichen Gym das Abitur abgeschlossen und ein Dualstudium als Sportökonom begonnen. Im Studium fühlte ich mich aber nie so richtig wohl, weil ich mich nicht entfalten konnte. Schliesslich habe ich das Studium abgebrochen. Mit 21 Jahren und 300 Euros in der Tasche wanderte ich nach Thailand aus mit dem Ziel, die besten Kampfsportler der Welt kennen zu lernen und selbst einer von ihnen zu werden. Das war die beste Entscheidung meines Lebens.

Hast du dir damals schon Ziele gesetzt und wusstest du genau, was du wolltest bzw. ab wann war das klar?

Ich bin eine Kämpfernatur und verliere nicht gerne. Nach der allerersten Trainingseinheit war das Feuer in mir entfacht. Als ich 16 Jahre alt war, habe ich meiner Grossmutter erzählt: «Ich werde Weltmeister im Kickboxen.» Natürlich hat sie mir das nicht geglaubt, bis sie den Gürtel des Europameisters auf dem Tisch liegen sah. Das Datum meines ersten Weltmeistertitels – 11.11.2017 – liess ich mir auf meine Ellbogenspitze tätowieren. Den Abend, als ich Weltmeister wurde, widmete ich meinen Grosseltern. Sie konnten den Wettkampf mit eigenen Augen mitverfolgen.

Auch heute noch arbeite ich mit Visualisierungen. So kann ich mir meine Ziele verinnerlichen. Es gibt einen Spruch, der lautet: «Du kannst nur einen Champion werden, wenn du dich selbst auch als einer siehst.» Es ist motivierend, sich als Champion vorzustellen. Auf dem Hintergrundbild meines Computers stand der Schriftzug: «One day I’m honestly gonna say, I made it.»

Was gefällt dir persönlich am Kampfsport besonders?

Mit dem Kampfsport kann ich mich am besten identifizieren. Ohne ihn wäre mein Leben in eine komplett andere Richtung verlaufen. Der Kampfsport hat mir geholfen, mich gut zu ernähren, nicht zu rauchen und nicht zu trinken. Während andere feierten, habe ich trainiert. Ich wollte einfach der Beste sein und wusste, dass jedes Bier, das ich trinke, meine Performance negativ beeinflusst. Ich stand jeden Morgen um fünf Uhr auf und ging vor dem Abi joggen. Die meisten scheitern am Durchhaltewillen. Für mich aber war klar: Ich will und brauche das Training und den Kampfsport für mein physisches und psychisches Wohlbefinden.

Du hast einige Jahre in Thailand gelebt und dort sogar ein Kloster besucht, wo du dich von einem Mönch segnen liessest. Was war das Wichtigste, das du aus Thailand, dessen Kultur und den gemachten Erfahrungen mitgenommen hast?

Mein Weltbild hat sich geändert. Ich war selbst eine Zeit lang Mönch und habe gelernt, die kleinen Dinge im Leben mehr zu schätzen. Mein Menschenbild hat sich gewandelt und ich bin ausgeglichener geworden. Ich habe den Buddhismus kennen gelernt, mit dem ich mich sehr gut identifizieren kann. Dessen Philosophie mit dem Karma ist sehr einfach: «Du tust etwas Gutes, dir widerfährt etwas Gutes. – Du tust etwas Schlechtes, dir widerfährt etwas Schlechtes.» Man versucht immer, die beste Version seiner selbst zu sein: Der beste Kämpfer für den Gegner, der beste Vater für das Kind, der beste Mann für die Frau. Sich permanent zu verbessern, das hat mich Thailand gelehrt. Früher war ich immer negativ eingestellt. Nach dem Auswandern nach Thailand habe ich mich erstmals richtig lebendig gefühlt. Auch habe ich gelernt, nichts hinauszuschieben, was man gerne tun möchte, ganz nach dem Motto: «Tu die Dinge heute und geniesse die kleinen Früchte des Lebens!»

Deine Wirbelsäulenverletzung war ein schwerer Schicksalsschlag für dich und hat dein Leben von einem Tag auf den anderen verändert. Was hat sich seither in deinem Kopf und deinem Mindset verändert?

Damals meinten natürlich viele, jetzt sei es vorbei mit meiner Karriere. Das dachten sie allerdings auch, als ich mir das Handgelenk oder die Nase gebrochen hatte. Solche Leute gibt es immer. Aber wichtig ist, an sich selbst zu glauben und nicht aufzugeben. Ich wollte ein Ende meiner Karriere nicht akzeptieren. Meine Grossmutter brach bei einem Treppensturz das Genick und starb. Ich war immer der Meinung, ein Genickbruch sei tödlich. Als ich die Diagnose erhielt, wollte ich es nicht wahrhaben. Es war aber Tatsache und ich konnte drei Monate rein gar nichts machen ausser mit einer Nackenstütze, die von meinem Oberkörper bis zur Stirn reichte, an die Decke starren.

In dieser Zeit hatte ich mit Identitätsverlust zu kämpfen, denn ich war kein Kampfsportler mehr. Rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, war mental sehr hart. Als ich Kampfsport am TV verfolgte, redete ich mir ein: «Ich bin noch immer einer von denen und eines Tages werde ich wieder im Ring stehen!» So machte ich eine lange Reha-Phase durch und als ich wieder fit war, wollte ich sofort wieder kämpfen. Es folgte eine schwierige Zeit mit Organisationen und Veranstaltern. Doch nach einem langen Jahr harter Arbeit konnte ich mich erneut erfolgreich im Ring beweisen und am 3. Oktober 2019 meinen Comeback-Kampf gewinnen.

Das war ein illegaler Wurf – damals 2018 – in China. Bist du noch wütend auf den Kämpfer, der dir das angetan hat, oder hast du ihm vergeben?

Weder noch; ich bin ihm gegenüber neutral. Allerdings kann ich so einem Menschen keinen Respekt mehr entgegenbringen. Ich denke, er wollte mich gezielt ausschalten. Ich glaube an Karma und er wird kriegen, was er verdient. Als ich verletzt am Boden lag, liess sich mein Gegner feiern. Das ist unmenschlich und nicht nachvollziehbar. In meiner Karriere habe ich einige Gegner ausgeknockt, mich aber immer um deren Wohlbefinden gekümmert. Schliesslich ist es nicht mein Ziel, jemanden zu verletzen. Die Kämpfe sind für mich rein sportlicher Natur und die Gegner sind zu respektieren. Heute versuche ich, das Positive daraus zu ziehen und mich nicht mehr daran zu erinnern, denn das weckt nur negative Emotionen. Ich schaue nach vorne und konzentriere mich auf meine Zukunft.

Gibt es aus diesem Horror-Erlebnis auch Positives, das du mitgenommen hast? Hast du dir zum Beispiel noch grössere Ziele gesteckt?

Mein Ziel war es immer, wieder zu kämpfen und den Weltmeistertitel zurückzuholen. Ansonsten habe ich gelernt, mich auf das Wesentliche im Leben zu konzentrieren; meine Familie und die vielen kleinen, schönen Dinge zu geniessen. Wir Menschen legen viel zu grossen Wert auf Nebensächlichkeiten. Nach einer solchen Verletzung ist viel klarer erkennbar, was im Leben wirklich zählt.

Natürlich wollen wir auch noch etwas über dein Training erfahren, denn das macht unter anderem einen Teil deines Erfolges aus. Erzähl uns doch etwas über deine Workout-Routine. Wie sieht so eine normale Trainingswoche bei dir aus?

Normalerweise trainiere ich montags bis freitags zweimal täglich. Zudem mache ich dreimal die Woche morgens Krafttraining und Kraftausdauertraining. Mein Trainer und ich probieren verschiedene Programme aus wie Kettlebell-Workouts, Ganzkörpertraining oder Training der Nackenmuskulatur. Weiter gehe ich zweimal pro Woche laufen. Einmal etwas länger – ca. 8 bis 10 km – für die Grundausdauer in gemässigtem Tempo; ein anderes Mal wird wettkampfspezifisch gesprintet, entweder flach oder auch mal steil den Berg hoch. Ausserdem habe ich im Muay-Thai viel trainiert und dort verschiedene Klassen besucht: Sparring, Boxklasse und Privattraining. Für die Fitness schätze ich Kettlebells und Übungen mit dem eigenen Körpergewicht. Für die Beweglichkeit mache ich – neben Dehnübungen – mit meiner Frau, die Yoga-Lehrerin ist, geistige und körperliche Übungen. Aber für High-Kicks brauche ich nicht unbedingt den Spagat machen zu können. Lieber möchte ich in Zukunft ein paar Kilos zulegen, denn die meisten Kämpfer sind etwas schwerer als ich. Allerdings fühle ich mich sehr gut mit meinem Körpergewicht.

Als professioneller Kämpfer brauchst du nicht nur Kraft, sondern auch Ausdauer, Koordination, Beweglichkeit und Schnelligkeit. Du bist also richtig fit, kann man sagen. Was sind deine besten Tipps für jemanden, der noch ganz am Anfang steht und nicht jeden Tag trainieren kann, um schnell fit zu werden?

Was ich empfehle, ist schwimmen. Schwimmen ist gelenkschonend und trainiert neben der Ausdauer auch die Muskulatur. Ich durchschwimme gerne Bahnen, beispielsweise fünfmal vier Minuten, so schnell wie möglich und mit kontrollierter Atmung. Unterwasser-Schattenboxen ist auch ganz gut – speziell für Kampfsportler für die Explosivität der Schläge. Entscheidend ist aber immer der Grund für das Training, das «Warum». Das Training muss immer den Zielen angepasst sein.

Was wäre deine Empfehlung für jemanden, der erfolgreicher Kampfsportler werden will; wie würde der ideale Einstieg deiner Meinung nach aussehen?

Am besten ist, sich gleich an einer Kampfsportschule anzumelden. Wichtig ist auch, sich der Opferbereitschaft bewusst zu werden. Wirklich erfolgreich werden heisst, auf vieles verzichten und die Grundlagen des Kämpfens erlernen. Zuerst gut trainieren und erst dann kämpfen gehen, wenn man sich sicher fühlt. Denn es geht um mehr als nur auf einen Sandsack hauen. Nicht bloss Schnelligkeit und Härte der Schläge sind ausschlaggebend, sondern vielmehr Kontrolle und Beherrschung der Technik. «Du bist nur in der Lage, deinen Gegner zu kontrollieren, wenn du fähig bist, dich selbst zu kontrollieren.»

Kampfsport mit Vollkontakt ist ja nicht für jedermann geeignet. Wie muss man ticken, um solch körperliche Schmerzen und Risiken in Kauf zu nehmen und wegzustecken?

Es ist eine Herzenssache. Im Kampf ist es wie im Leben: Nach der Niederlage wieder aufstehen und weitermachen. Nebst dieser Einstellung braucht es auch einen gewissen Intelligenzquotienten. Es geht nicht einfach ums Reinhauen und Schauen, wer am längsten stehen bleibt. Vielmehr ist es mit Schachspielen vergleichbar: Auf Techniken des Gegners reagieren und versuchen vorherzusehen, welche Schläge er platzieren wird. Dann die Chancen nutzen, die eigenen Schläge gezielt zu versetzen und dabei unverletzt zu bleiben.

Was ist dein Erfolgsgeheimnis, um so ein erfolgreicher Kampfsportler – wie du es einer bist – zu werden?

Du musst an dich selbst glauben. Wer zweifelt, schafft es nicht. Wir können alles erreichen, wenn wir unsere Komfortzone verlassen, Risiken eingehen und hart arbeiten. Und wenn etwas nicht klappt, einfach wieder aufstehen und es nochmals probieren.

Was magst du im Leben überhaupt nicht? Was würdest du komplett aus dieser Welt schaffen, wenn du es könntest?

Missgunst. Ich finde, wir sollten jeder und jedem das Beste wünschen, egal ob wir die Person kennen oder nicht. Sich gegenseitig unterstützen, statt mit dem Finger aufeinander zeigen. Sich darüber freuen, wenn es den anderen gut geht.

Möchtest du unseren Leserinnen und Lesern zum Schluss noch etwas mit auf den Weg geben?

Ich möchte mich bei allen Lesenden und bei allen, die mich unterstützen, bedanken. Wer sich etwas fest vornimmt, kann mit dem richtigen Mindset alles erreichen. Wir müssen einfach an unseren Träumen festhalten, dann ist alles möglich. Ich bin ein Beispiel dafür, dass es funktioniert. Also Leute, glaubt an euch selbst und gebt niemals auf!