Rollstuhl-Bodybuilding: die stärksten Rollstuhlfahrer der Welt

Rollstuhlfahrer bei Rollstuhl-Bodybuilding Wettbewerb

Foto: Csak Istvan

Fast jeder Sport hat mittlerweile eine Kategorie für Athleten mit Handicap. Schon 1948 begannen in Aylesbury (England) die ersten Sportspiele für Rollstuhlfahrer. Sie fanden am selben Tag statt, wie die Olympischen Spiele von London. 12 Jahre später starteten dann die ersten offiziellen Paralympics in Rom. Seither erfreuen sich die Paralympischen Spiele immer grösserer Beliebtheit und Teilnehmerzahlen. Inklusion im Sport ist wichtig, doch leider noch nicht in jedem Sport angekommen.

 

Wer an Bodybuilding denkt, denkt vielleicht nicht gleich an Rollstuhlfahrer. Und doch ist das Wheelchair-Bodybuilduing (Rollstuhl-Bodybuilding) ein realer Sport. Allerdings steckt er besonders in Europa und im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen, und das ist schade. Wenn du selbst im Rollstuhl sitzt, ob von Geburt an oder zum Beispiel durch einen Unfall, aber an Bodybuilding interessiert bist, solltest du dich auf keinen Fall entmutigen lassen!

 

Wir möchten dir verschiedene Athleten vorstellen, die aus dem Rollstuhl heraus die Welt des Bodybuilding verändert haben. Diese Menschen haben ihr Handicap nicht nur zu ihrer Stärke gemacht, sondern auch dafür gesorgt, dass Dinge wie eine Klasse für Rollstuhlfahrer im Bodybuilding überhaupt eingeführt wurden.

Rollstuhl-Bodybuilding in Amerika

In den USA ist Rollstuhl-Bodybuilding schon stärker verankert als in anderen Teilen der Welt. Das mag daran liegen, dass sich der Sport in den USA noch grösserer Beliebtheit erfreut als in Europa. Oder der Grund liegt schlicht und einfach darin, dass die USA deutlich mehr Einwohner haben als die Schweiz, Deutschland oder Österreich. Was immer der Grund ist, die USA legen vor.

 

Der wahrscheinlich prestigeträchtigste Wettkampf nach Mr. Olympia im Bodybuilding sind die Arnold Classics. Seit 2016 wird zu diesem Anlass auch ein Wettkampf im Pro Wheelchair-Bodybuilding ausgetragen. 2022 traten neun Kandidaten an – Tendenz steigend. Dabei darf beim Thema Rollstuhl-Bodybuilding ein Name nicht unerwähnt bleiben: Nick Scott.

Nick Scott: Gründer von Wheelchair Bodybuilding, Inc.

Bereits als Jugendlicher war Nick Scott an Fitness und Sport interessiert. 1998, im Alter von 16 Jahren, erlitt er einen schweren Autounfall. Seither sind seine Beine gelähmt. Nick wurde depressiv und wog irgendwann 136 Kilo. Als er eines Tages in den Kraftraum seiner Highschool zurückkam, nahm er das Training wieder auf. Nach einem Jahr nahm er an einem Schulwettbewerb im Bankdrücken teil – und gewann. Dabei brach er ganz nebenbei den Schulrekord, indem er eine Langhantel von 159 Kilo stemmte.

 

Seither ist Nicks Lebensaufgabe, seinen Sport voranzutreiben, zu verbreiten und andere Rollstuhl-Athleten zu motivieren. Er ist nicht nur professioneller Bodybuilder und Rollstuhl-Tänzer, er ist auch Autor und professioneller Sprecher. Bekannt als „The Beast“ hat er seit 2006 an über 250 Bodybuilding-Events teilgenommen, viele davon gewann er auch.

 

Das Jahr 2006 markiert in Nicks Leben ohnehin einen Höhepunkt. In diesem Jahr gründete er Wheelchair Bodybuilding, Inc. (WCBB), eine Non-profit-Organisation, die Spenden für Rollstuhl- und adaptive Athleten sammelt. Nick Scott ist wohl einer der bekanntesten Namen im Rollstuhl-Bodybuilding.

 

Er besitzt zwei Pro-Cards verschiedener Organisationen, die ihn befähigen, seinen Sport professionell auszuüben. Die International Fitness and Bodybuilding Federation (IFBB) erlaubte ihm unter anderem deshalb, 2011 den ersten Pro Wheelchair Bodybuilding-Wettbewerb auszurichten.

 

Nicks Motto ist: „Erfolg ist kein Ziel – Erfolg ist der Weg!„

Jen Pasky Jaquin : erste professionelle Rollstuhl-Bodybuilderin

Jen Pasky Jaquin hatte bereits ihren ersten Job im Fitnessstudio. Ihre Leidenschaft für Fitness und Gesundheit verfolgte sie ihr Leben lang, auch als sie Kinder bekam. Doch eine dieser Geburten veränderte ihr Leben.

 

Um eine schmerzfreie Entbindung zu gewährleisten, kann eine Periduralanästhesie durchgeführt werden. Dabei kann es in seltenen Fällen zu Komplikationen kommen, doch genau das passierte Jen. Nach der Geburt spürte sie ihre Beine bis hin zur Lippe nicht mehr. Das Gefühl in den Beinen kam nie wieder zurück, seither sitzt sie im Rollstuhl.

 

Trotzdem nahm Jen ihr Training wieder auf. Sie war die erste Frau, die bei den Arnold Classics im Rollstuhl posierte. Sie nahm an zahlreichen Wettbewerben und Veranstaltungen als Gastposerin teil. Dabei müssen im Rollstuhl-Bodybuilding im Gegensatz zu klassischen Bodybuilding-Wettbewerben lediglich 4 Posen eingenommen werden, denn es wird nur der Oberkörper bewertet.

 

2020 erhielt Jen die erste IFBB Pro-Card für weibliches Rollstuhl-Bodybuilding. Dabei lebt sie mit der Devise: „Du musst es nur versuchen. Es spielt keine Rolle, ob du im Rollstuhl bist oder nicht, gib nur nicht auf.“

Rollstuhl-Bodybuilding in Europa

Auch wenn Wheelchair Bodybuilding vor allem in den USA auf dem Vormarsch ist, gibt es auch in Europa einige Pioniere des Rollstuhl-Bodybuilding. Der Italiener Gabriele Andriulli zum Beispiel hat 2022 die Pro Wheelchair Championships der Arnold Classics gewonnen. Der Tscheche Daniel Minster sitzt seit einem Autounfall im Rollstuhl und nimmt ebenfalls am Pro Wheelchair Wettkampf in den USA teil.

Rollstuhl-Bodybuilding im Deutschsprachigen Raum

Im deutschsprachigen Raum sind Rollstuhl-Bodybuilder eher rar. Dennoch haben die wenigen Athleten, die aktiv sind oder waren, es geschafft, den Sport voranzubringen. Sie erfahren viel Zuspruch und Unterstützung, doch um wirklich etwas zu bewirken, bräuchte es mehr Rollstuhl-Athleten.

Markus Binder: Rollstuhl-Bodybuilding aus Österreich

Seit 2013 betreibt Markus Binder Bodybuilding vom Rollstuhl aus. Er ist von Geburt an querschnittsgelähmt. Die Inspiration zum Rollstuhl-Bodybuilding fand er in Nick Scott und Gabriele Andriulli. Die Rollstuhl-Bodybuilder-Gemeinschaft mag klein sein, aber sie ist gut vernetzt. Die Athleten inspirieren und motivieren sich gegenseitig.

 

Markus Binder möchte sich nicht von seinem Handicap einschränken lassen. Besonders im Rollstuhl ist ein gesunder und fitter Körper für ihn wichtig. Das erleichtert auch den Alltag enorm. Binder fordert eine Rollstuhl-Klasse im Österreichischen Bodybuilding, um sich mit anderen messen zu können. Der Präsident des Österreichischen Bodybuilding- und Fitnessverbands „WFF Austria“ fördert Binders Idee. Er selbst hat bereits 2000 eine Rollstuhl-Klasse eingeführt, doch da gäbe es meist keine oder nicht genug Bewerber. Mindestens drei Athleten sind nötig, damit ein Wettbewerb stattfinden kann.

Thomas Losch: Deutschlands einsamer Rollstuhl-Bodybuilder

Thomas Losch hatte mit 19 Jahren einen Motorradunfall. Seither sitzt er im Rollstuhl, seine Beine sind gelähmt. Losch, vor seinem Unfall Zeitsoldat bei der Bundeswehr, hat sich jedoch niemals aufgegeben. Sein Unfall passierte Ende der 1980er Jahre, als Fitnessstudios noch lange nicht barrierefrei waren. Da das Bewegen mit dem Rollstuhl nach seinem Unfall anstrengend für ihn war, begann er mit Krafttraining. Von anderen Mitgliedern im Fitnessstudio liess er sich zu den Geräten tragen und trainierte, bis er schliesslich 1983 zum ersten Mal in der Handicapklasse deutscher Meister im Bankdrücken wurde.

 

Da der Stoffwechsel bei Rollstuhlfahrern nicht so gut funktioniert, setzt man recht schnell Bauch an und baut schwieriger Muskelmasse auf, so Losch. Gerade deshalb sei es so wichtig, auf Ernährung und Fitness zu achten, wenn man im Rollstuhl sitzt. Schwieriger ist das auch deshalb, weil im Training klassische Übungen wie Kniebeugen oder Kreuzheben wegfallen. Man müsse eben erfinderisch sein.

 

Thomas Losch wird nach seinem Unfall immer wieder zurückgeworfen. 2006 brechen die Metallplatten in seinem Rücken, später muss er sich Operationen an Hüfte und Halswirbelsäule unterziehen. Er verbringt oft Monate im Krankenhaus, was ihn auch im Training immer wieder zurückwirft. So verliert er gut und gern mal 10 Kilo Muskelmasse.

 

Für Losch ist das aber kein Grund, aufzugeben. Immer wieder kämpft er sich hoch. Seine Freunde nennen ihn scherzhaft den Pinguin. Egal wie oft er hinfällt, er steht immer wieder auf. Losch besinnt sich auf das, was er kann, nicht auf das, was er nicht kann. Selbst seine halbgelähmten Bauchmuskeln bringt er immer mehr zum Wachsen, entgegen der ärztlichen Prognosen. Die hatten ihm gesagt, er könne sie wegen der Lähmung kaum zum Wachsen bringen. Losch bewies das Gegenteil.

 

2015 schliesslich gewann er die Deutsche Meisterschaft des IFBB der Rollstuhl-Klasse, für deren Einführung er 6 Jahre lang gekämpft hat. Doch er trat gegen sich selbst an. Er ist konkurrenzlos. In Deutschland gäbe es insgesamt nur 15 bis 20 Leute, die den Sport überhaupt betrieben, meint Losch. Das ist schade, und es ärgert ihn. Thomas Losch möchte andere Rollstuhlfahrer zu seinem Sport motivieren, damit er nicht allein auf der Bühne stehen muss, und weil der Sport es wert ist.

 

Viele Menschen in einer ähnlichen Situation schreiben ihn an, bitten um Rat. Er gibt Seminare und macht Videos zu seinen Trainingserfolgen. Das sei zwar nie seine Prämisse gewesen, aber es sei schön, anderen Menschen Mut machen zu können. Die Zukunft seines Sports liegt Losch sehr am Herzen.

Wie können wir das Rollstuhl-Bodybuilding fördern?

Natürlich könnten noch deutlich mehr Rollstuhl-Bodybuilder hier erwähnt werden, sie alle hätten es verdient. Die Athleten vollbringen eine unglaubliche Leistung und überschreiten Grenzen, die von vielen nicht einmal wahrgenommen werden. Sie motivieren und inspirieren, wo andere sich schon längst aufgegeben hätten. Und doch bekommt ihr Sport nicht die Anerkennung, die er verdient.

 

Wenn du selbst im Rollstuhl sitzt und an Bodybuilding interessiert bist, lass dich von ihnen motivieren und gehe selbst ins Fitnessstudio! Mittlerweile sind die meisten Gyms barrierefrei, und ein Rollstuhl soll kein Hindernis sein, wie hier deutlich bewiesen wurde. Denk daran: je mehr Menschen diesen Sport betreiben, desto mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung wird er erhalten.

 

Möchtest du die Athleten und Bodybuilder unterstützen, obwohl du selbst kein Handicap hast, kannst du beispielsweise eine Patenschaft übernehmen. Der Deutsche Bodybuilding- und Fitnessverband (DBFV) bietet solche Patenschaften für Athleten im Rollstuhl-Bodybuilding an. Dabei geht es vor allem um die finanzielle Unterstützung der Sportler.

 

In jedem Fall ziehen wir den Hut vor der Leidenschaft und dem Durchhaltevermögen der Rollstuhl-Athleten. Eure Leistung ist beeindruckend!

 

 Autor: Nina Schäfer

 

Quellen:

Become A WCBB Champion | Wheelchair Bodybuilding

Thomas Losch im Rollstuhl zur Bodybuilding-WM – WELT

Arnold Classic Pro für Rollstuhlfahrer kommt! – Gannikus.de

Rollstuhl-Bodybuilding und adaptives Crossfit (paraplegie.ch)

Nick Scott – Der Bodybuilder im Rollstuhl | Men’s Finest (mens-finest.de)

Grazer fordert: Bodybuilding soll Rollstuhl-Klasse bekommen – Der Grazer – Aktuelle Nachrichten aus Graz: Der Grazer

Rollstuhl Bodybuilding Austria | Graz | Facebook

Allein auf der Bühne | Sächsische.de (saechsische.de)

Behindertensport: Vom Rollstuhl auf’s Siegerpodest – Schärding (meinbezirk.at)

https://www.frischhandel.at/kraftextrem/NewFiles/sport2.html

Patenschaften – dbfv.de

Rollstuhlfitness „Extrem“ – Der-Querschnitt.de