Die Kämpferin – Barbara el Rassi
Foto: ID Photography
Die Kämpferin Barbara El Rassi
Barbara El Rassi, aufgewachsen im Libanon, spricht neben Arabisch auch Englisch, Französisch und Italienisch, hat im Alter von 8 Jahren mit dem chinesischen Kampfsport ‹Sanda› begonnen und an der AISTS – International Academy of Sport Science and Technology studiert. Nebenberuflich ist Barbara El Rassi auch ein erfolgreiches Model. ‹Sanda›, früher ‹San Shou›, auch bekannt als Chinesisches Boxen oder Chinesisches Kickboxen, ist der moderne Kampfstil des ‹Kung Fu›. ‹Sanda› ist eine Kampfkunst, die ursprünglich vom chinesischen Militär zur Selbstverteidigung entwickelt wurde. Sie verbindet Vollkontakt-Kickboxen, das Schläge und Tritte aus nächster Nähe und in schneller Folge beinhaltet, mit Ringen, Würfen, Take Downs, Kickfängen, Sweeps und in einigen Wettkämpfen sogar mit Ellbogen- und Kniestössen. Die Wettkämpfe finden auf einer erhöhten Plattform statt, die ‹leitai› genannt wird und mit Schaumstoff und einer Plane umwickelt ist. Die Wettkämpfe gehen über insgesamt drei Runden, die jeweils zwei Minuten dauern, mit einer einminütigen Pause dazwischen. Die Vollkontaktkämpfe sind fliessend und aufregend. Die Athleten und Athletinnen werden von Kampfrichtern an der Seitenlinie nach bestimmten Kriterien mit Punkten bewertet. Ein Sieger wird ermittelt, wenn er bzw. sie 2 von 3 Runden eines Kampfes gewinnt oder der Gegner bzw. die Gegnerin k.o. ist. Sanda-Wettbewerbe umfassen 7 Gewichtsklassen für Frauen und 11 für Männer. Ich habe immer das Gefühl, dass ‹Sanda› einen ganz besonderen Kampfstil hat. Angefangen von der Einbettung der Geschwindigkeit in die Bewegungen und der Bekanntheit für mühelose Take Downs lernt man im ‹Sanda›, den Gegner innert kürzester Zeit zu studieren, und klug zu reagieren. Man trainiert, Schäden zu vermeiden und Energie zu sparen, während man die Kraft des Gegners nutzt. Schliesslich, und das ist das Wichtigste, ist ‹Kung Fu› auch als Lebensart bekannt, inspiriert von der Natur und den Tieren. Wenn man diese Kultur gründlich studiert und versteht, birgt sie eine Menge Magie und einen einzigartigen Stil. Ich glaube, ich habe mich in den Kampfsport verliebt, weil er mich am meisten repräsentiert. Ich musste es nicht erzwingen, es war so natürlich für mich. Ich hatte auch das Gefühl, dass es eine emotionale Flucht aus der Schule war. Ich wurde mental gemobbt und oft beiseitegeschoben, deshalb hatte ich Probleme, anderen zu vertrauen. Der Kampfsport war ein individueller Sport, eine Wohlfühlzone, aber auch ein herausforderndes Umfeld. Um meine Leistung zu verbessern, musste ich mich auf meine Entwicklung und mein Selbstvertrauen verlassen und nicht auf die Anwesenheit oder die Meinung anderer. Ich werde nie wirklich wissen, warum ich mich für den Kampfsport entschieden habe, also sage ich lieber, dass er mich gewählt hat. Ich habe im Alter von 8 Jahren angefangen, als meine Eltern beschlossen hatten, in eine andere Stadt in der Nähe der Schule zu ziehen. Sie erlaubten meinem Bruder und mir, zwei ausserschulische Aktivitäten zu starten. Wie es dem Klischee entspricht, begann ich mit Gymnastik und Ballett, also genau dort, wo jedes Mädchen sein möchte. Nachdem ich während 10 Minuten Ballettunterricht geschnuppert hatte, verliess ich verzweifelt das Klassenzimmer und wurde bald darauf vom Leiter der Institution verfolgt. Während er versuchte, mich zum Bleiben zu überreden, bestand ich darauf, meinen Bruder zu sehen. Er erklärte mir, dass er den Sanda-Kurs besuche, der hauptsächlich Jungen zugänglich sei. Doch meine Hartnäckigkeit überzeugte ihn, so dass ich den Kurs mit meinem Bruder auszuprobieren konnte. Und damit begann die Liebesgeschichte; ich habe mich seitdem in diesen Sport verliebt. Inzwischen sind bereits 17 Jahre vergangen.Was hat mich zu Wettkämpfen motiviert?
Um ehrlich zu sein, habe ich in einem sehr jungen Alter angefangen, sodass ich mich nicht mehr wirklich an den ersten Auslöser erinnern kann. Aber mit der Zeit habe ich angefangen, Gründe zu finden, für die ich kämpfen wollte. Ich wurde in der Schule gemobbt und hatte das Gefühl, dass mich das stärker machte, dass ich endlich wahrgenommen wurde und dass ich jetzt mein ‹Schutzschild› hatte. Nicht zu vergessen das Adrenalin, die Erfahrung, der Rausch, die Leidenschaft. Es war nicht mein erster Erfolg, aber der Gewinn der Silbermedaille bei den Europameisterschaften in Estland 2010 war ein wichtiger Meilenstein in meiner Karriere. Ich war noch jung und sehr unsicher, was meine Fähigkeiten anging. Es war mein erster grosser internationaler Wettkampf und ich war die Einzige aus der Mannschaft, die eine Medaille gewann. Das hat mein Selbstvertrauen gestärkt und ‹Sanda› wurde zu meiner lebenslangen Leidenschaft. Ich kann nicht eingrenzen oder erklären, was mich der Kampfsport im Leben gelehrt hat. Er hat mich in vielerlei Hinsicht geprägt und mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich werde nur wenige charakteristische Eigenschaften erwähnen, aber die Liste ist endlos: Kampfgeist, Disziplin, Selbstvertrauen, Rücksichtnahme, Dankbarkeit, emotionales Management, Selbstständigkeit, harte Arbeit und Engagement, Verantwortung für das Leben und Entscheidungen sowie Ergebnisse, Teamgeist. Wenn ich eine Sache aus ‹Sanda› auswählen müsste, wäre es das Gleichgewicht. Gut dargestellt in der chinesischen Philosophie Ying und Yang, ist die Balance im Leben das, was uns in Bewegung hält und uns auf gesunde Weise wachsen lässt. Das gilt sowohl für den emotionalen als auch für den körperlichen Zustand.Wie ich als echte Kämpferin gleichzeitig eine schöne Frau und ein Fotomodell sein kann?
Das ist eine Botschaft, die ich immer wieder gerne vermittle, vor allem über meine Instagram-Seite. Als ich mit dem Kämpfen anfing, war es ziemlich selten, Mädchen im Sport und insbesondere im Kampfsport zu sehen. Ich hatte das Gefühl, dass es dafür ein Etikett gab. Ich wäre wahrscheinlich ein ‹Wildfang› oder eine ‹Lesbe›. Was ich damit sagen will, ist, dass ich direkt in eine Grauzone eingeordnet wurde. Ich hasste diese Vorverurteilung; die Unfähigkeit zu akzeptieren, dass eine feminine, heterosexuelle Frau beides sein kann. Da ich in einem arabischen Land (Libanon) aufgewachsen bin und mit der von Männern dominierten Mentalität konfrontiert wurde, hatte ich das Bedürfnis, Stereotypen zu durchbrechen und die Stärke einer Frau zu zeigen. Ich habe viel Kritik gehört, manchmal ungewollt. ‹Warum ruinierst du dieses hübsche Gesicht?› Oder: ‹Dein Bizeps ist grösser als meiner.› Oder: ‹Ich dachte, du wärst Polizistin›. – Ein Kämpfer zu sein bedeutet nicht, dass man sich nicht um sich selbst kümmern sollte, dass man hässlich aussehen oder männlich sein muss. Das Modeln war ein Tor, durch das ich mich selbst ausdrücken und diese Botschaft vermitteln konnte. Wenn ich modle, fühle ich mich so stark wie in einem Kampf. Ich spüre das Selbstvertrauen, das ich vor der Linse habe, die Kraft der Selbstliebe und das Glück, zu beweisen, dass ich beides sein kann, wenn ich will: Eine starke Kämpferin und eine schöne Frau. Um in guter Form zu bleiben, muss man zuallererst wissen, dass niemand einen ändern kann, ausser man sich selbst. Menschen können einen motivieren und inspirieren. Aber Motivation ist nur eine kurzfristige Lösung, die auf deiner momentanen Stimmung und deinem Gefühl beruht. Um in Form zu kommen, bedarf es langfristiger Veränderungen, es muss zur Gewohnheit, zur Lebensweise werden. Dazu musst du zunächst einen triftigen Grund finden, warum du dich ändern willst. Damit fängt alles an, danach musst du diszipliniert sein, damit alle Bemühungen konsequent sind. Disziplin ist nicht einfach, auch nicht für Sportler, aber sie ist verlässlich. Man kann sich selbst eine Reihe von Massnahmen und Regeln auferlegen, die den Prozess erleichtern und dem Gehirn vorgaukeln, dass es gar nicht so schwer ist. Folgende Tipps helfen mir auf meinem Weg:- Lege einen Zeitplan mit einer Routine für all deine guten Gewohnheiten fest, von der Ernährung über das Training und die Arbeit bis hin zum geselligen Beisammensein. Nicht zu vergessen, dass ‹gute Form› auch geistiges Wohlbefinden beinhaltet, also nicht zögern und massvoll geniessen. Wenn du organisiert bist, ist es weniger wahrscheinlich, dass du von deinen Aufgaben überwältigt wirst und es gibt keinen Grund, um etwas aufzuschieben. Die wichtigste Regel lautet: ‹Was man sich für die Woche vorgenommen hat, muss bis zum Ende der Woche erledigt sein›. Damit will ich sagen, dass wir alle nicht perfekt sind und dass wir alle ein arbeitsreiches Leben oder Momente der Schwäche haben. Aber wir sollten dies nicht als Ausrede benutzen. Wenn du also zum Beispiel am Dienstag ein Training angesetzt hast und es aus irgendeinem Grund nicht schaffst, ist das kein Problem, denn du hast ja noch bis Ende der Woche Zeit, es nachzuholen. Normalerweise ist der Sonntag ein freier Tag. Du kannst diesen Tag also immer nutzen, um unerledigte Dinge abzuarbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass du jedes Mal, wenn du keine Lust hast, alles auf den Sonntag verschieben solltest, sondern halte dich so gut wie möglich an deinen Zeitplan!
- Wenn du deinen Tag früh beginnst oder spät beendest, bereite dich vorher vor. Ich koche und bereite zum Beispiel sonntags meine Mahlzeiten für die Woche vor, da ich weiss, dass ich tagsüber nie die Zeit haben werde zu kochen. Ich bereite meine Trainingstasche am Vorabend vor, damit ich am Morgen keinen Stress habe mit Packen. Das sind nur Beispiele, aber sie sind im Alltag enorm erleichternd.
- Suche eine Aktivität oder einen Sport, der dir Spass macht! Das Fitnessstudio kann für manche langweilig sein und ich kann das gut verstehen – aber das bedeutet nicht, dass man sich nicht auch auf andere Weise bewegen kann. Suche dir eine Sportart aus, die dir Spass bereitet oder die du gerne erlernen möchtest, und du wirst sehen, dass du dich bewegst, ohne zu viel über das Training nachzudenken und die Aktivität zu hassen.
- Treffe dich mit fitten Leuten oder Menschen, die die gleichen Ziele haben wie du. Wenn du dich jedes Mal mit Freunden umgibst, die nur Fast Food essen oder dich mit sitzenden Tätigkeiten begnügst, verlierst du den Schwung und den Fokus auf dein Ziel. Wenn du aber mit Menschen unterwegs bist, die gerne wandern und Abenteuer erleben, gesund kochen oder sogar in Restaurants sich mit frischem und gesundem Essen verköstigen, wirst du wahrscheinlich mitziehen und dadurch aktiver sein.
- Mache keine Diät, sondern esse gesund. Lasse gesunde Ernährung zu einem Teil deines Lebensstils werden und höre auf die Bedürfnisse und Wünsche deines Körpers. Du musst nicht perfekt essen, um gesund zu sein! Erlaube dir ab und zu eine ‹Schummel-Speise›, esse das eine Stück Schokolade, weil du dir zum Abschluss etwas Süsses gönnst – das sorgt für ein gesundes Verhältnis zum Essen und vermeidet Frustration und Essanfälle.
- Und schliesslich: Schlafen! Das ist auf so vielen Ebenen wichtig! Ob aus geistiger oder körperlicher Sicht, 7 bis 8 Stunden Schlaf pro Tag sind ein entscheidender Faktor. Er versetzt dich in eine gute und energiegeladene Stimmung, du fühlst dich bereit, den Tag zu meistern, und er gibt dir einen enormen Schub für dein Training und deinen Erholungsprozess.
Finde die Saat, die dich am Leben hält, die dir hilft zu wachsen, die deine Gedanken und Handlungen ordnet, die dein Herz und deine Seele nährt, die dir deine Ziele vor Augen führt. – Das Leben ist voller Abgründe und Kämpfe, dem kannst du nicht entkommen. Dein Gefolge wird dir zur Seite stehen, aber manche Kämpfe finden in deinem Kopf statt, manche Kämpfe werden allein ausgetragen und nur du kannst sie bestehen. Also sorge dafür, dass du, wenn es dir am schlechtesten geht, deine Waffe hast, die dich rettet.Zum Schluss bedanke ich mich herzlich bei der Fight Move Academy, wo ich trainiere und Motion Lab, wo ich Physiotherapie erhalte. Sie sind ein grosser Teil meines Lebens und meines Erfolges. Barbara El Rassi Interviewt, vom Englischen übersetzt und aufgezeichnet von Mark Dickenmann