Anton Antipov im Interview: «Ich trainiere immer so, als würde ich mich auf Olympia vorbereiten.»

Anton Antipov am Photoshooting im Fitnessstudio

Foto: TJ Darr

MyWorkout: Hallo Anton, du bist in der Fitness-Szene eine bekannte Persönlichkeit und hast die Cover verschiedenster Fitness-Magazine geziert. Deine Bodybuilding-Karriere hast du als Fitnessmodel begonnen. Was hat dich damals motiviert?

 

Anton Antipov: Das ist richtig, ich stehe gerne vor der Kamera. Bereits als Blutjunger verschrieb ich mich im damaligen Weissrussland – heutiges Belarus – dem Sport. Dann zog ich in die USA und versuchte mich dort, so gut wie möglich zu integrieren. Weil ich mich unter den Menschen aber nicht wohlfühlte, trainierte ich etwa 6 Jahre lang zu Hause mit Körpergewichten. Gelegentlich ging ich in den Keller meines Freundes, der eine «All-in-One»- Maschine besass.

 

Ausschlaggebend, mehr über meine körperliche Leistungsfähigkeit und mein Aussehen zu lernen, war wahrscheinlich der Abschluss eines 3-Jahres-Vertrages bei einer Model-Agentur. Ich begann, mich mit Ernährung und Training auf eine ganz andere Art zu beschäftigen. Das Fitnessstudio, das ich mit 18 Jahren besuchte, war sehr stark frequentiert, viele der Geräte waren entweder kaputt oder besetzt. Also musste ich mir neue Wege ausdenken, um an Geräten zu trainieren, die immer verfügbar waren, wie z. B. Wadenmaschinen (lacht).

 

Konntest du dir vorstellen, dein ganzes Leben mit Sport und Fitness zu verbringen? Hattest du andere Pläne für deine Zukunft?

Auch ich war der Meinung, wie andere wohl auch, ich würde aufwachsen und etwas ganz anderes machen. Meine Eltern haben mein Fitnesshobby nie unterstützt und immer wieder versucht, es mir auszureden. Sie sagten mir, ich würde meine Zeit verschwenden und all meine Muskeln wären mit 30 schlaff. Ich werde dieses Jahr 40 und bis jetzt ist nichts schlaff geworden (lacht). Ich dachte, vielleicht als Journalist, Autor oder Fotograf zu arbeiten – hätte aber nie geahnt, meinen Lebensunterhalt in der Fitnessbranche zu verdienen. Nebst dem Training bin ich meinen beiden Hobbys – Schreiben und Fotografieren – immer treu geblieben. So habe ich es geschafft, beides zum Beruf zu machen, obwohl mir immer wieder gesagt wurde, ich würde es zu nichts bringen.

 

Während mehrerer Jahre warst du einer der erfolgreichsten Athleten der Men’s Physique. Was hat dir geholfen und was hat es dich gekostet?

Mit 28 Jahren hatte ich mir bereits ein gutes Wissen über Ernährung und Sport angeeignet und es vor allem auch umgesetzt. Wenn es funktionierte, blieb ich dabei, wenn nicht, habe ich es verworfen. 2012 sagte mir einer meiner Agenten einer Model-Agentur, bei der ich damals unter Vertrag stand, ich würde nicht nur auf der Bodybuilding-Bühne grossartig aussehen, sondern auch in Kleidern beeindrucken. Ich hatte bereits 10 Jahre lang trainiert und verfügte über eine gute Basis, also fragte ich mich, warum nicht? In dieser Zeit versuchte ich, das Beste aus meinem Leben herauszuholen.

Ich setzte mir für jeden Monat ein realistisches Ziel, um mich sowohl körperlich als auch geistig weiterzuentwickeln: Ein Buch eines neuen Autors lesen, eine unbekannte Stadt besuchen, ein ungewöhnliches Gericht kochen usw. Einer meiner Vorsätze war auch, ohne Angst im Rampenlicht zu stehen. Ich dachte mir, was gibt es Besseres, als sich halbnackt vor Hunderten von Menschen auf der Bühne zu präsentieren. Jetzt hatte ich ein Ziel, wusste aber nicht, wie ich es umsetzen soll. Zu dieser Zeit ging es mir finanziell schlecht und ich musste neben meiner Tätigkeit als Grafikdesigner und Personal-Trainer auch als Barkeeper arbeiten. Nach einer der BarkeeperSchichten sagte ein Kollege, er nehme an einem Wettbewerb teil. Als wir gegen 6 Uhr morgens die Arbeit verliessen, fragte er mich, ob ich ihm zuschauen wolle und ich sagte zu. Als ich dort ankam, überredete er mich, mit ihm auf die Bühne zu gehen. Ich rief meinen Freund an und bat ihn, mir ein Paar Shorts mitzubringen. Ich bekam gleich meine NPC-Karte, wurde gebräunt und ging auf die Bühne. Da ich an diesem Abend schon etwas getrunken hatte, war ich nicht so nervös. Ich hatte keine Ahnung, was ich tat und belegte den 4. Platz von etwa 25 bis 30 Jungs meiner Klasse.

 

Nach dieser Show wollte ich wissen, wie weit her es ist mit meiner Disziplin und beschloss, mich einem weiteren Wettbewerb zu stellen. Jede zweite Woche nahm ich an einer Show teil, die genau gleich ablief wie beim ersten Wettbewerb. Meinen Job als Barkeeper musste ich behalten, um weiterhin mein neues Hobby finanzieren zu können. Vor meiner Schicht als Barkeeper liess ich mich braun sprühen, arbeitete in der Bar, beendete die Arbeit gegen 6 Uhr morgens und ging gegen 8 Uhr zum Check-In. Zwischen den Vorentscheidungen und dem Finale schlief ich auf Parkbänken, weil die Wettbewerbe weit weg von zu Hause stattfanden und ich mir kein Hotel leisten konnte. Nach dem Finale ging ich zurück zur Arbeit, immer noch mit braunem Teint, jetzt aber mit Öl bedeckt, stellte meine Trophäe auf die Bar und arbeitete bis zum nächsten Tag. Ich glaube nicht, dass ich in dieser Zeit je geschlafen habe. Ich gewann jeden Wettbewerb und nach etwa 4 bis 5 Monaten hatte ich meine Profikarte. An meiner ersten Profishow belegte ich den 6. Platz. Ich nahm in dieser Saison an 9 Wettbewerben teil.

 

Der Rummel um mich begann, als ich meine Saison im folgenden Jahr anpackte und Olympia angekündigt wurde. Ich hatte ein neues Ziel: Ich wollte einer der ersten Men`s Physique Athleten sein, der bei Mr. Olympia antritt. Das war 2013. Wenige Monate vor Beginn mei ner Saison verletzte ich mich schwer am Rücken und konnte einen Monat lang nicht laufen. Ich hatte mir zwei Bandscheibenvorfälle im unteren Rücken zugezogen. Ich liess mich nicht aufhalten, obwohl mir viele Leute sagten, ich sei erledigt und könne nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen. Sobald ich wieder laufen konnte, habe ich meinen Plan durchgezogen: Ich bestritt in dieser Saison elf Wettkämpfe, gewann einen in Detroit (MI) und nahm an der allerersten Physi que-Olympiade teil. Danach zweifelten nicht mehr allzu viele Leute an mir. Von 2013 bis 2017 nahm ich während fünf Jahren in Folge an Olympia teil. Dann hörte ich auf, weil ich meine gewohnte Leidenschaft nicht mehr aufzubringen vermochte.

 

Kannst du deinen typischen Tag zu dieser Zeit in Bezug auf dein Training und deine Ernährung beschreiben?

Als ich in Hochform war, glich mein Zeitplan einem Uhrwerk: Am Morgen machte ich mein Cardio und – ungeachtet der Wetterbedingungen – täglich einen 25-minütigen Spaziergang. Später am Abend trainierte ich, bevor meine Barkeeper-Schicht begann. Meine Ernährung entsprach nicht der eines typischen Bodybuilders. Zusätzlich zu der einen Stunde Cardio bewegte ich mich viel und ging überall zu Fuss hin.

Dank dessen konnte ich das Fett in Schach halten und vieles essen, was Bodybuilder normalerweise nicht konsumieren. Da ich nur ein kleines Budget zur Verfügung hatte, ass ich Fast Food – aber ich bestellte nur das Nötigste, einfaches Eiweiss wie Hühnchen, Fisch oder Rindfleisch mit einem Salat. Wenn ich Kohlenhydrate brauchte, nahm ich Reis aus der Mikrowelle.

Ich habe immer darauf geachtet, kaum Fett, wenig Kohlenhydrate, aber viel Eiweiss zu mir zu nehmen. Während meiner Schicht als Barkeeper konnte ich nichts essen, also trank ich EiweissShakes. Um Wasser zu sparen, kaute ich Eiswürfel. Damit ich die ganze Nacht durchzuhalten vermochte, trank ich zuckerfreies Red Bull. Wenn ich jetzt auf all diese Jahre zurückblicke, weiss ich nicht, wie ich Wettbewerbe gewinnen konnte (lacht). Andererseits wäre mir auch nicht klar, warum ich sie hätte verlieren sollen.

 

Womit hast du die besten Resultate erzielt?

Mein stetiger Bewegungsdrang verhalf mir zu Bestleistungen. Ich habe jeden Tag trainiert – auch während der Ferien – und nahm mir in den 25 Jahren Training nur zwei Auszeiten.

 

Was war deiner Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg?

Ich musste mir immer wieder gut zureden und mich motivieren, um härteste Trainingseinheiten und Hindernisse durchzustehen – aber ich habe es geschafft. Es war der Geist, den ich überzeugen musste, der Körper folgte.

 

Wie ich aus einem deiner früheren Interviews weiss, hattest du Probleme mit dem Rücken. Und kürzlich ist es wieder passiert und du musstest operiert werden. Wie ist es dazu gekommen und was war der Grund?

Ich habe schwere T-Bar-Rows gemacht – Pre-Workout-Booster bewirkt manchmal zu viel Ego – was dazu führte, dass ich zu viel Gewicht benutzte. Während meines Satzes hörte ich einen Knall und ich konnte nicht mehr aufstehen. Diagnose: Zwei schwere Bandscheibenvorfälle im unteren Rücken. Das war im Jahr 2013. Seitdem habe ich versucht, mit der Verletzung umzugehen und trotzdem zu trainieren, wobei ich sehr auf meine Form achtete. Es lief gut, aber die Teilnahme an 50 Wettkämpfen, viel Dehydrierung und Erschöpfung bei der Vorbereitung auf diese Wettkämpfe, lange internationale Flüge und die ständig schweren Belastungen während des Trainings – all das hat mich eingeholt und ich musste mich vor drei Monaten einer Notoperation unterziehen, von der ich mich derzeit erhole.

 

Was kannst du unseren Leserinnen und Lesern raten, damit ihnen solche Probleme nicht widerfahren?

Bleibt verletzungsfrei, lasst euer Ego vor der Tür und macht langsam Fortschritte! Beständigkeit ist der Schlüssel.

 

Derzeit bist du dabei, wieder in Form zu kommen. Wie machst du das genau? Was hilft dir und wer unterstützt dich?

Ich bin sozusagen auf mich allein gestellt, trainiere intuitiv und versuche, weitere Schäden an meinem Rücken zu vermeiden. Ich mag Herausforderungen, also finde ich auch Wege, um die Stelle, an der ich operiert wurde, nicht zu sehr zu belasten. Ich bin Autodidakt und mache alles selbst. Bis vor etwa zwei Jahren hatte ich nie einen Trainer, war bei 45 Wettbewerben mutterseelenallein. Nur für die letzten fünf habe ich jemanden eingestellt, der mir hilft. Ich habe online viel Unterstützung von meinen Fans. Leider hatte ich nie – auch nur annähernd – so viel Unterstützung von meiner Familie.

 

Wie wir auf Instagram sehen können, hast du nie aufgehört, hart an deinem Körper zu arbeiten. Warum ist das immer noch so wichtig für dich?

Jemand hat mich einmal gefragt, wie ich es schaffe, so zu trainieren, wie ich es tue, und dabei so auszusehen, als könnte ich jederzeit kurzfristig einen Wettkampf bestreiten. Meine Antwort war: «Ich trainiere immer so, als würde ich mich auf Olympia vorbereiten; ich wüsste nicht, wie ich sonst trainieren sollte. Ich habe kein lockeres Training – bei jedem Training schreien meine Muskeln.» Ich werde ein bisschen nachlassen, wenn ich in Rente gehe, aber ich habe noch einige unerledigte Aufgaben in der IFBB. Und ich wäre wirklich glücklich, wenn meine Tochter mich auf der Bühne mit einer Trophäe in der Hand sehen könnte.

 

Was sind deine Lieblingsübungen?

Ich liebe es, die Brust zu trainieren. Ob du es glaubst oder nicht, meine Lieblingsübung ist Fliegende – egal ob mit Hanteln, Kabeln, Maschinen oder Bändern – ich liebe das Gefühl der vollen Dehnung und der maximalen Kontraktion; besonders, wenn ich schlanker werde und meine Brust gestreift wie eine Mandel aussieht.

 

Kommst du zurück auf die Bühne und was sind deine nächsten Ziele?

Ja. Eine neue Herausforderung – nach meiner Knie- und Rückenoperation möchte ich sehen, ob ich es immer noch draufhabe und ob ich immer noch wettbewerbsfähig sein kann. Deshalb werdet ihr mich irgendwann im Sommer dieses Jahres wieder auf der Bühne sehen.

 

Interview mit Anton Antipov vom März 2023