Wie Kältetraining dein Leben bereichert
Nur mit kurzer Hose bekleidet einen Halbmarathon im nördlichen Polarkreis laufen, ohne Wasser in der Wüste Namibias rennen oder 60 Meter tief unter einer Eisschicht tauchen. Das sind Aktivitäten, die der niederländische Sportler Wim Hof bereits von seiner Bucket List abhaken kann. Mithilfe seiner selbst entwickelten, nach ihm benannten Wim-Hof-Methode schafft er es diese Extremsituationen zu bewältigen, ohne dass seine eigene Körpertemperatur sinkt oder ansteigt. Das Kältetraining ist der wichtigste Bestandteil der Theorie. Beim Kältetraining werden wir für einen kurzen Augenblick eisigen Temperaturen ausgesetzt, was sich positiv auf unsere physische sowie mentale Gesundheit auswirken soll. Normalerweise gehen wir Kälte liebend gerne aus dem Weg. Doch wir zeigen, wie du sie dir zunutze machen kannst.
Die Wim-Hof-Methode
Hofs Theorie liegen drei Komponenten zugrunde: Kältetraining, Atemübung und Einsatzwille. Wim Hof, umgangssprachlich auch bekannt als «Ice Man», beteuert, sein eigenes autonomes Nervensystem durch regelmässige Anwendung der Methode kontrollieren zu können. Das autonome, oder auch vegetative Nervensystem steuert Körperfunktionen, auf die der Mensch üblicherweise keinen Zugriff hat. Dazu zählt die Atmung, der Stoffwechsel aber auch die Körpertemperatur. Er ist sich in seiner Sache so sicher, dass er meint, durch seine Methode könne man Autoimmunkrankheiten wie Diabetes oder Parkinson heilen oder zumindest die Symptome lindern. In seinem Buch berichtet er von Marianne Pepper, die Dank seiner Technik keine Medikamente mehr gegen ihr Rheuma nehmen müsse. Ob sich seine Theorie bewahrheitet, ist in der Wissenschaft noch stark umstritten. Fakt ist jedenfalls, dass die weltweit bekannte Technik, insbesondere die Kältetherapie, unser Immunsystem stärken kann.
Atemübung
Der Grundbaustein der Wim-Hof-Methode ist die richtige Atmung. Laut Hofs Theorie sollst du 30 bis 40 mal zügig ein und aus atmen und dann so lange es geht die Luft anhalten. Nach mehreren Wiederholungen bringst du deinen Körper in einen Zustand der kontrollierten Hyperventilation, was zu einer erhöhten Sauerstoffversorgung im Blut führt. Achte während der Technik darauf, wie dein Körper reagiert: dein Herz schlägt langsamer und deine Hände fangen möglicherweise an zu kribbeln. Solltest du das Gefühl haben, etwas stimmt nicht, brich die Übung bitte umgehend ab. Durch die Hyperventilation wird der Sympathikus des autonomen Nervensystems aktiv, der unsere Leistungsbereitschaft erhöht. Eine Studie verglich die Immunreaktion einer Grippe mit und ohne Hofs Atemtechnik. Die Gruppe, die zuvor die Atemübung durchgeführt hat, wies eine abgeschwächte Immunantwort der Grippe vor. Die Symptome der Krankheiten prägten sich weniger stark aus.
Die Wim-Hof-Atmung Schritt für Schritt
- Mit nüchternem Magen legst du dich auf den Rücken. Suche dir einen Ort aus, an dem du gut entspannen kannst.
- Atme kontrolliert über den Bauch bis hin zur Brust ein. Die Ausatmung soll ganz von allein geschehen.
- Führe diese Übung 30 bis 40 mal zügig durch. Nach dem letzten Ausatmen hältst du so lange es geht die Luft an.
- Wieder atmest du langsam ein und aus bevor du erneut die Luft anhältst.
- Wenn du Gefühl hast, dein Körper kommt mit der Atemübung gut zurecht, kannst du noch zwei weitere Runden ausführen.
Wichtig ist anzumerken, dass eine kontrollierte Hyperventilation nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Durch das schnelle Ein- und Ausatmen kann dir schwindelig werden, weshalb wir dir empfehlen die Übung nicht alleine auszuprobieren. Höre auf die Signale, die dein Körper dir sendet und versuche niemandem etwas zu beweisen.
Kältetraining
Das Kältetraining findet unmittelbar nach der Atemübung statt. Wie genau funktioniert es?
Beim Kältetraining begibst du dich freiwillig für einige Minuten in ein sehr kaltes Umfeld. Das Spektrum an Möglichkeiten ist sehr gross: es fängt an bei einer harmlosen kalten Dusche bis hin zu Eisbaden bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.
Wichtig ist, sich ganz langsam an die Kälte heranzutasten, weil du nicht wissen kannst, wie dein Körper auf die Situation reagiert. Sich eisiger Kälte auszusetzen ist und bleibt ein Schockzustand, der nicht leichtsinnig herbeigeführt werden sollte.
Einsteigern empfehlen wir, die Dusche Stück für Stück immer kälter zu stellen. Du wirst merken, wie schnell du dich an die kühlere Wassertemperatur gewöhnst. Um deine persönliche Kältegrenze zu erhöhen ist der nächste Schritt für einige Minuten ein kaltes Bad zu nehmen. Eiswürfel können helfen, das Wasser noch stärker herunter zu kühlen. Doch denke daran: Sobald Minusgrade erreicht werden, solltest du nicht länger als eine Minute darin verbringen. Zu hoch ist das Risiko einer Unterkühlung, vor allem für Unerfahrene.
Wenn du diese Schritte bereits problemlos bewältigt hast, kannst du dich an einen kalten See wagen. Zu Beginn solltest du einen Neoprenanzug tragen, den du nach ein paar Durchgängen allerdings weglassen kannst. Kältetraining in offenen Gewässern solltest du niemals im Alleingang durchführen! Durch den abrupten Temperaturwechsel kann dir schwindelig werden. Ausserdem solltest du dich im flachen Wasser aufhalten und vermeiden zu schwimmen. Durch die Bewegung wird dem Körper Energie entzogen, um dich warm zu halten. Du beginnst zu frieren.
Während du dem kalten Wasser ausgeliefert bist, achte weiterhin auf deine Atmung. Der Instinkt des Körpers in Kontakt mit beissender Kälte ist hektisches Atmen. Versuche dich auf langsame, kontrollierte Atemzüge zu fokussieren und dich nicht ablenken zu lassen.
Einsatzwille
Die dritte Säule seines Modells besagt, dass man die vorherigen Stufen mit Konzentration, Hingabe und vor allem Geduld ausüben soll. Eine Veränderung erfolgt nicht von heute auf morgen. Um Ergebnisse zu erzielen, soll man laut Hof über mehrere Wochen und mindestens jeden zweiten Tag Kältetraining betreiben. Auch wenn es am Anfang Überwindung kostet, wortwörtlich den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, sollst du nicht aufgeben und deine Ziele vor Augen halten. Deine Gesundheit wird es dir danken.
Kältekammer – Die neue Sauna?
Immer mehr Menschen und auch Profisportler wie Manuel Neuer unterziehen sich freiwillig undenkbaren Temperaturen von bis zu -170 Grad Celsius. Wo auf der Erde existieren derart eisige Grade, fragst du dich? In einer so genannten Krykokammer.
Nur spärlich bekleidet stehst du in einer zylinderförmigen Kabine und lässt ein bis drei Minuten lang Kälte über dich ergehen. Die Kopf- und Schulterpartie bleibt dabei aus und lugt oben heraus. Zunächst beträgt die Temperatur in der Kammer etwa 60 Grad Celsius, bevor sie mithilfe von flüssigem Stickstoff auf mindestens -110 Grad heruntergekühlt wird.
Kältekabinen findest du meist in Gesundheits- oder Physiozentren. Für eine drei-minütige Behandlung kannst du mit Preisen ab 16 Euro rechnen. Kältetraining anhand dafür vorgesehener Geräte bietet den entscheidenden Bonus, dass du während der Behandlung nicht auf dich allein gestellt bist. Sollte dir die Temperaturen nicht gut bekommen, hast du qualifiziertes Personal an deiner Seite. Preislich gesehen ist Kältetraining in freier Natur oder zu Hause allerdings um einiges günstiger. Zumal du nicht vergessen darfst, dass du erst nach mehreren Sessions einen gesundheitlichen Effekt bemerken wirst.
Der gesundheitliche Nutzen von Kältetraining
Kältetraining wird in China und Skandinavien schon seit mehreren hundert Jahren praktiziert. Heutzutage in Kältekammern oder wie früher im klassischen zugefrorenen See. Was hat die Menschen damals dazu veranlasst? Welche gesundheitlichen Vorteile können wir durch die Kältetherapie erwarten?
Durch die Wechselwirkungen zwischen den Temperaturen wird deine Durchblutung gefördert, was deinem Herz-Kreislauf-System sehr zugute kommt. Nicht nur das, auch die Produktion und Verbreitung von Leukozyten wird angeregt. Die weissen Blutkörperchen haben die wichtige Funktion Viren, Bakterien, Infektionserreger oder Schadstoffe zu bekämpfen.
Nachdem du durch das Kältetraining deinen inneren Schweinehund überwunden hast, stärkt sich dein Selbstbewusstsein und deine psychische Belastbarkeitsgrenze erhöht sich. Belastbarkeit ist auch in vielen anderen Lebensbereichen von Vorteil, sei es bei der Arbeit oder beim Sport. Weitere positive Effekte auf die psychische Gesundheit ist die vermeintliche Verminderung von Depressionen oder Schlafstörungen und die allgemeine Besserung des Wohlbefindens.
Kältetraining zieht eine angekurbelte Stoffwechselaktivität mit sich. Um die Körpertemperatur konstant zu halten, wird Fett durch das braune Fettgewebe verbrannt und in Wärme umgewandelt. Dabei wird «ungesundes» weisses Fettgewebe abgebaut.
Wim Hofs Modell sorgt dafür, dass sich unsere Regenerationsfähigkeit nach körperlicher Anstrengung verbessert. Das geschieht durch die Ausschüttung von Adrenalin und Endorphinen. Zusätzlich hat Adrenalin eine entzündungshemmende Wirkung. Durch effektive Regeneration kann sich auch deine sportliche Leistungsfähigkeit verbessern.
Schon in unserer Kindheit wurden Wunden, nach dem wir gestürzt sind, mithilfe von Kühlakkus behandelt. Das liegt daran, dass Kälte eine schmerzenslindernde Wirkung auf den Körper hat. Ebenso kann sie Schwellungen vorbeugen und den Rückgang bereits bestehender hervorrufen.
Und wer hätte es gedacht? Natürlich hilft uns das Kältetraining auch dabei, eine Kälteresistenz zu entwickeln. Vielleicht nicht in dem Ausmass, wie es bei Wim Hof der Fall ist. Das erfordert reichlich Disziplin, Ehrgeiz und Zeit. Dennoch wirst du feststellen, dass du weniger schnell frierst und Temperaturen, die du früher als kalt empfunden hast, gar nicht mehr so schlimm sind. Dann fällt es auch leichter die Heizung auszulassen.
Die Gefahren von Kältetraining
Wenn man sich zu schnell der Kälte hingibt und beispielsweise unbedacht in Eiswasser springt, kann das Training auch nach hinten losgehen. Du kannst nie vollständig vorhersagen, wie dein Körper auf die extremen Umstände antwortet. Deswegen ist Vorsicht geboten!
Menschen mit Kreislaufproblemen raten wir von Kältetraining ab. Wenn du schon unter normalen Gegebenheiten dazu neigst, unter Schwindel zu leiden, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es sich durch den Temperaturunterschied ähnlich verhält. Das Gleiche gilt für Menschen mit Bluthochdruck und Herz-, Gefäss- oder Nierenerkrankungen, nur um wenige zu nennen.
Auch wenn keine dieser Krankheiten auf dich zutreffen, empfehlen wir deinem Hausarzt vor dem Kältetraining einen Besuch abzustatten. Viele denken sie seien kerngesund, wissen allerdings nicht, ob sie beispielsweise einen hohen Blutdruck haben. Mehr Menschen sind davon betroffen, als man vermuten würde. Der Arzt oder die Ärztin kann abschätzen, ob ein Kältetraining für dich von Vorteil ist. Sollte das nicht der Fall sein ist das halb so wild. Es gibt viele weitere Methoden für einen Gesundheitsboost, denen du dich bedienen kannst. Holger Hugg im MyWorkout Magazin hat 10 Tipps für ein langes Leben erstellt.
Nachdem dein Hausarzt dir grünes Licht gegeben hat, steht dem Kältetraining nichts mehr im Wege. Behalte im Hinterkopf, dich Stück für Stück an die Kälte heranzuwagen und höre auf deinen Körper, wenn er dir signalisiert, eine Grenze erreicht zu haben.
Kältetraining als Erfolgsgeheimnis in der Fitnessbranche?
Meist greift ein gesundheitlicher Nutzen auch auf unsere Fitness über. Ist das bei der Kältetherapie auch der Fall? Oder wirkt sich die Kälte kontraproduktiv auf unsere Ziele aus?
Kältetherapie kann dein Training bereichern, je nachdem welche Absichten du im Sport verfolgst. Dabei ist der Zeitpunkt des Kältetrainings, sprich vor oder nach dem Workout, von grosser Bedeutung und macht einen gravierenden Unterschied aus.
Vor dem Training
Wie wir bereits wissen, regt Kältetraining unsere Durchblutung an. Eine kalte Dusche unmittelbar vor dem Training würde also bedeuten, dass die Muskeln während der Workoutsession optimal mit Sauerstoff versorgt sind und die maximale Leistung erbringen können.
Du bist träge und deine Motivation für ein Training lässt zu wünschen übrig? Dann ist die Kälte ideal. Durch die Erfrischung wachst du auf, sammelst Energie und Selbstbewusstsein für das anstehende Workout.
Nach dem Training
Direkt nach dem Training kalt zu duschen hat seine Sonnen- aber auch Schattenseiten. Einerseits verhilft uns Kältetraining zu einer schnelleren und effektiveren Regeneration nach körperlicher Anstrengung. Sogar Muskelkater kann vorgebeugt werden!
Anhand einer Studie wurde anderseits festgestellt, dass Kältetherapie den Muskelaufbau entschleunigt. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen wurde von den Probanden Beintraining betrieben. Unmittelbar nach dem Workout wurde anschliessend 20 Minuten lang das eine Bein in kaltes und das andere in warmes Wasser getaucht.
Die Ergebnisse sind erstaunlich: Die Muskelproteinsynthese-Rate hat sich bei dem Bein im kalten Wasser um 20 Prozent verringert. Bei der Synthese von Proteinen werden körpereigene Eisweisse hergestellt, die die beschädigten Muskelfaser nach dem Training reparieren und ergänzen, was das Dickenwachstum der Muskelgruppe zur Folge hat. Wird die Muskelproteinsynthese eingeschränkt, werden nicht ausreichend Proteine hergestellt. Auf Dauer bedeutet das eine drastische Verlangsamung des Muskelwachstums. Möchtest du deine Muskeln vergrössern, solltest du auf dem Thermometer einige Grade höher wandern und eher einen Saunabesuch als ein Eisbad nach dem Training in Erwägung ziehen.
Wim Hof hat durch die Kälte eine 180 Grad Wende erlebt und möchte sie nicht mehr missen. Laut seinen eigenen Aussagen wird er nicht mehr krank und konnte viele Menschen von seinem Modell überzeugen. Fakt ist, dass die Kälte eine gesundheitsfördernde Wirkung haben kann. Ob diese allerdings so weit reicht, dass wir unser eigenes Nervensystem steuern können, ist fraglich und bedarf weiterer Forschungsansätze. Schaden kann es jedenfalls nicht, die Dusche einige Grad herunterzudrehen. Vielleicht entdeckst auch du die Kälte für dich.
Themen rund um das Thema Gesundheit interessieren dich? Dann lies auch den Artikel Topfit mit Ü50.
Autor: Mira Müller
Quellen:
https://www.ist-hochschule.de/blog/nie-mehr-krank-durch-kaeltetraining/
https://www.carpediem.life/a/wim-hof-methode
https://www.foodspring.de/magazine/wim-hof-methode-ueberblick
https://www.bergfreunde.de/blog/tief-atmen-kalt-duschen-dranbleiben-was-kann-die-wim-hof-methode/