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Wie beeinflussen Umweltfaktoren wie Ernährung, Stress oder Bewegung unsere Gene? Und warum haben eineiige Zwillinge trotz identischer DNA unterschiedliche Merkmale? Die Antwort liegt in der Epigenetik. In diesem Artikel sehen wir uns an, wie sie die Funktionsweise unserer Gene verändert und welche Auswirkungen das auf Gesundheit und Entwicklung hat.
Inhaltsverzeichnis
- 1.Was ist Epigenetik?
- 2.Wie unterscheiden sich Epigenetik und die «klassische» Genetik?
- 4.Der Zusammenhang zwischen Umwelt und Epigenetik
- 5.Epigenetik und Sport
- 6.Epigenetische Vererbung
- 7.Fazit
Was ist Epigenetik?
Epigenetik ist ein Teilgebiet der Biologie, das untersucht, wie Gene an- oder ausgeschaltet werden können, welche also aktiv sind oder nicht, ohne dass sich die DNA-Sequenz (1) verändert. Bestimmte Enzyme verändern dafür gezielt Abschnitte der DNA, wodurch Gene leichter oder schwerer abgelesen werden können. Das beeinflusst, welche Proteine eine Zelle herstellt und in welcher Menge. Diese Vorgänge passieren «über» der eigentlichen Erbinformation, also der DNA – Sequenz. Sie erklärt, wie Umweltfaktoren, beispielsweise Ernährung oder Stress, Einfluss auf die Genaktivität nehmen und warum demnach zum Beispiel eineiige Zwillinge trotz gleicher Gene Unterschiede im Aussehen oder Verhalten zeigen können.
Wie unterscheiden sich Epigenetik und die «klassische» Genetik?
Während die Epigenetik also untersucht, wie die Aktivität von Genen durch Einflüsse der Umwelt reguliert wird, ohne deren DNA-Sequenz zu verändern, steht in der Genetik die DNA-Sequenz selbst im Mittelpunkt. Sie beschäftigt sich mit der Vererbung biologischer Merkmale über Generationen hinweg und erforscht, wie genetische Informationen in der DNA gespeichert werden und wie diese bei der Fortpflanzung weitergegeben werden. Die klassische Genetik beschreibt, dass Merkmale durch festgelegte DNA-Sequenzen bestimmt werden. Eine Veränderung dieser Sequenz, etwa durch Mutationen (2) , kann beispielsweise zu veränderten Merkmalen oder Krankheiten führen.
Im Gegensatz dazu zeigt die Epigenetik, dass auch ohne Veränderungen in der DNA-Sequenz selbst Gene ein- oder ausgeschaltet werden können, eben durch den Einfluss der Umwelt bzw. unser Verhalten. Diese epigenetischen Veränderungen können vorübergehend oder langfristig sein und beeinflussen, welche Gene wann und in welcher Menge aktiv sind.
Epigenetische Mechanismen
Epigenetische Veränderungen werden durch unterschiedliche Modifikationen (3) herbeigeführt, welche die Menge sowie die Art der Proteine beeinflussen, um welche die DNA im Zellkern gewickelt ist. Es gibt drei verschiedene epigenetische Mechanismen. Um diese zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen, wie die DNA im Zellkern strukturiert ist: Die DNA liegt nicht frei vor, sondern ist um spezielle Eiweiße, sogenannte Histone (4) , gewickelt. Dieses Paket aus DNA und Proteinen nennt man Chromatin. Es bildet die Grundlage der Chromosomen, die unsere genetische Information enthalten. Die Art und Weise, wie die DNA um die Histone gewunden ist, beeinflusst, wie gut bestimmte Gene zugänglich und damit aktivierbar sind.
Histon – Modifikation:
Bei der Histon – Modifikation werden bestimmte chemische Gruppen an die Histone angehängt. Diese Veränderungen beeinflussen, wie dicht oder locker die DNA um die Histone gewunden ist. Je nachdem, wie «zugänglich» die DNA dadurch wird, können Gene leichter oder schwerer abgelesen werden. Auf diese Weise reguliert der Körper gezielt die Genaktivität, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern.
DNA – Methylierung:
Bei der DNA – Methylierung werden sogenannte Methylgruppen (5), kleine chemische Strukturen, an bestimmte Stellen der DNA angeheftet. Diese Modifikationen wirken wie ein Schalter, indem sie verhindern, dass bestimmte Gene abgelesen und somit aktiviert werden. Dadurch kann der Körper gezielt regulieren, welche Gene unter bestimmten Umweltbedingungen aktiv sind. Auch hier bleibt die genetische Information unverändert – lediglich ihre Nutzung wird gesteuert. So trägt die DNA-Methylierung wesentlich zur Anpassungsfähigkeit des Organismus bei.
Expression von nicht codierenden RNAs (6) (z.B. microRNAs):
Die RNA (Ribonukleinsäure) ist ein Molekül, das eng mit der DNA verwandt ist und eine zentrale Rolle bei der Umsetzung genetischer Informationen spielt – insbesondere bei der Herstellung von Proteinen. Während viele RNA-Moleküle als sogenannte messenger-RNAs (mRNAs (7) ) die Bauanleitung von Genen aus der DNA zu den Ribosomen transportieren, wo Proteine entstehen, gibt es auch RNA-Formen, die keine Proteine codieren. Zu diesen gehören die microRNAs (miRNAs).
miRNAs selbst werden nicht in Proteine übersetzt, sondern steuern die Genregulation. Sie binden gezielt an bestimmte mRNA-Moleküle und verhindern entweder deren Übersetzung in Proteine oder sorgen für deren Abbau. Auf diese Weise beeinflussen sie, welche Gene tatsächlich zur Wirkung kommen und spielen eine wichtige Rolle bei der Steuerung von Zellprozessen und der Entwicklung des Organismus.
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Der Zusammenhang zwischen Umwelt und Epigenetik
Umweltfaktoren beeinflussen also die epigenetischen Mechanismen unseres Körpers. Rauchen beispielsweise verändert die Art, wie die DNA – Sequenzen von Lungenzellen abgelesen wird, was zu Krebs führen kann. Weitere negative Einflussfaktoren sind Stress, ungesunde Ernährung, Umweltchemikalien, Drogen, Alkohol und Nikotin, Bewegungsmangel und Übergewicht.
Regelmässiger Sport und ausgewogene Ernährung zählen zu den Einflüssen, die epigenetische Prozesse im Körper positiv beeinflussen können. Auch bestimmte Lebensmittel enthalten bioaktive Substanzen, die solche Prozesse gezielt unterstützen können. Grüner Tee beispielsweise senkt nachweislich das Krebsrisiko. Dies ist darauf zurückzuführen, dass durch das Aufkochen der unfermentierten Teeblätter der Stoff Epigallocatechin-3-Gallat (EGCG) herausgelöst wird. Dieser ist dafür verantwortlich, ein Gen zu reaktivieren, das die «Anleitung» zur Herstellung eines krebsbekämpfenden Stoffs enthält.
Bestimmte Mikronährstoffe wie Folsäure, Betain, Vitamin B12, Vitamin D, Polyphenole und Omega-3-Fettsäuren spielen eine wichtige Rolle bei epigenetischen Prozessen. Sie fördern unter anderem die DNA-Methylierung, schützen die Erbsubstanz oder regulieren die Genexpression (8) – und kommen vor allem in grünem Gemüse, Hülsenfrüchten, Fisch, Nüssen oder Obst vor.
Wenn dich interessiert, welche Massnahmen du noch ergreifen kannst, um möglichst lange gesund zu bleiben, lies dir am besten unseren Artikel über Longevity durch.
Epigenetik und Sport
Sport kann die Genaktivität beeinflussen und zur langfristigen Gesundheitsregulation beitragen. Training wirkt dabei als epigenetischer Reiz, der die Genexpression verändert.
Darauf deutet auch eine Studie von Malène Lindholm et. al. hin. Hierbei stärkten 23 junge untrainierte Probanden drei Monate lang ihre Beinmuskulatur, indem sie auf einem einbeinigen Ergometer vier Mal pro Woche 45 Minuten trainierten. So wurde der Einfluss von körperlicher Aktivität auf die epigenetische Struktur von Muskelzellen untersucht. Hilfreich war in diesem Falle, dass Lindholm und ihre Kollegen den direkten Vergleich zu dem anderen, untrainierten Bein hatten.
Für die Studie nahmen die Forscher Muskelproben vor und nach der Trainingseinheit der Probanden und untersuchten sie auf Veränderungen im epigenetischen Profil. Dabei stellte sich heraus, dass bereits direkt nach dem Training an mehreren Genen gleichzeitig messbare epigenetische Veränderungen in Form der DNA-Methylierung sichtbar wurden.
Insbesondere traten diese chemischen Veränderungen an Genen auf, die für den Energiestoffwechsel sowie die Anpassung des Körpers an Belastungen verantwortlich waren.
Die Studie von Lindholm et. al. zeigt, dass Sport durch epigenetische Veränderungen die Genaktivität positiv beeinflusst, was langfristig zur Verbesserung der Gesundheit und der Anpassungsfähigkeit des Körpers an körperliche Belastungen beiträgt.
Epigenetische Vererbung
Die wissenschaftlichen Belege dafür, dass epigenetische Veränderungen bei Säugetieren – und damit auch beim Menschen – vererbt werden, sind bislang schwach und widersprüchlich. Ein Grund dafür ist, dass oft unklar bleibt, ob epigenetische Veränderungen durch Umweltfaktoren direkt in den Keimzellen (9) entstehen, oder ob sie nur eine Folge körperlicher Reaktionen auf z. B. Stress, Hormone oder Entzündungen sind – und damit nicht dauerhaft vererbt werden können.
Bei Pflanzen sind solche transgenerationalen (10) epigenetischen Effekte nachgewiesen, bei Säugetieren sind jedoch vererbbare epigenetische Anpassungen selten.
In menschlichen Studien gab es zwar Hinweise auf mögliche transgenerationelle Effekte; beispielsweise wie sich Hungersnöte auf die Gesundheit der Nachkommen auswirken. Die schwedische Överkalix-Studie belegt, dass Männer, deren Grossväter in ihrer Kindheit Hunger gelitten hatten, ein geringeres Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes aufwiesen.
Die Interpretation solcher Studien ist allerdings schwierig und nicht ganz eindeutig, da nicht immer kulturelle und soziale Einflüsse berücksichtigt wurden.
Auch Zwillingsstudien lassen keine eindeutigen Schlüsse zu, da Unterschiede zwischen eineiigen Zwillingen auch durch (kleine) genetische Umstände, z.B. Mutationen oder zufällige biologische Schwankungen während der Entwicklung entstehen können und nicht ausschliesslich auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind.
Die Wissenschaftliche Evidenz, die transgenerationale epigenetische Vererbung belegt, ist also noch immer schwach.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Epigenetik einen bedeutenden Einfluss auf die Funktionsweise unserer Gene hat. Umweltfaktoren wie Ernährung, Stress und Bewegung können beeinflussen, welche Gene abgelesen werden und welche nicht, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven für Prävention und Gesundheit – zeigen aber auch, wie wichtig ein bewusster Lebensstil ist. Obwohl noch viele Fragen offen sind, wird deutlich: Wir haben unsere Genaktivität zu einem gewissen Grad selbst in der Hand.
Glossar
- DNA – Sequenz: Die DNA-Sequenz ist die genaue Reihenfolge der Bausteine (Basen), die den genetischen Bauplan für unseren Körper enthält.
- Mutation: Eine Mutation ist eine bleibende Veränderung des genetischen Materials in einer Zelle oder in einem ganzen Organismus
- Modifikation: Eine Modifikation ist eine durch Umwelteinflüsse wie Licht, Nahrung oder Temperatur verursachte Veränderung des Erscheinungsbilds (Phänotyps) eines Lebewesens.
- Histon: Histone sind spezielle Proteine, um die sich die DNA wickelt. Sie helfen dabei, das Erbmaterial in der Zelle zu ordnen und bilden die Grundlage des Chromatins, aus dem Chromosomen bestehen.
- Methylgruppe: Eine Methylgruppe ist eine kleine chemische Einheit aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen (CH₃), die an die DNA angeheftet werden kann und dort wie ein Schalter wirkt – sie kann Gene an- oder ausschalten, ohne die DNA selbst zu verändern.
- RNA: Die RNA ist eine der DNA verwandte Nukleinsäure und spielt eine zentrale Rolle bei vielen wichtigen Vorgängen im Körper, wie zum Beispiel der Herstellung von Proteinen.
- mRNA: Die mRNA (Boten-RNA) wird aus der DNA gebildet und enthält den Bauplan für Proteine, die bei der Proteinbiosynthese hergestellt werden.
- Genexpression: Bei der Genexpression wird die Information eines Gens zuerst in RNA umgeschrieben und dann in ein Protein übersetzt, das eine bestimmte Aufgabe in der Zelle übernimmt.
- Keimzelle: Keimzellen sind spezialisierte Zellen, die das Erbgut für die Fortpflanzung tragen, wobei es sich um Eizellen (weiblich) und Spermien (männlich) handelt.
- Transgenerational: Erbinformationen die innerhalb einer Familie von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Quellen:
- https://www.spektrum.de/thema/epigenetik/1191602
- https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/belastung-des-menschen-ermitteln/epigenetik#:~:text=Die%20Epigenetik%20erklärt%20den%20Einfluss,mögliche%20Wirkmechanismen%20auf%20zellulärer%20Ebene
- https://sportaerztezeitung.com/rubriken/ernaehrung/11675/epigenetik/
- https://www.newsletter-epigenetik.de/wie-sport-die-zellen-veraendert/
- https://www.studysmarter.de/schule/biologie/genetik/epigenetik/#:~:text=Epigenetische%20Mechanismen%20(Modifikationen)%20verändern%20die,können%20permanent%20und%20vererbbar%20sein
- https://www.mpg.de/11396064/epigenetik-vererbung
- https://www.frontiersin.org/journals/epigenetics-and-epigenomics/articles/10.3389/freae.2024.1434253/full?utm_
- https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/dna-von-eineiigen-zwillingen-kann-sich-unterscheiden-3392#:~:text=Genetik-,DNA%20von%20eineiigen%20Zwillingen%20kann%20sich%20unterscheiden,im%20Erbgut%20können%20erheblich%20sein
- https://www.planet-wissen.de/natur/forschung/epigenetik/index.html
- https://www.deutscheklinik.de/blogs/sekundaer-und-tertiaerpraevention-existenter-erkrankungen/einzelansicht/epigenetische-ernaehrung-einfluss-auf-gene-und-gesundheit
- https://simpleclub.com/lessons/biologie-dna
- https://studyflix.de/biologie/modifikation-4192
- https://studyflix.de/biologie/mutation-2582
- https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z/histone-837#:~:text=Histone%20sind%20spezielle%20Proteine%2C%20die,Material%2C%20aus%20dem%20Chromosomen%20bestehen
- https://simpleclub.com/lessons/biologie-rna
- https://studyflix.de/biologie/mrna-2333
- https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/biologie-abitur/artikel/transkription-und-translation
- https://www.studysmarter.de/schule/biologie/entwicklungsbiologie/gameten/
- https://www.familysearch.org/de/blog/transgenerational-generationenubergreifend-de