Regina Halmich
«Scheitern gehört zum Erfolg»

Regina Halmich sitzt mit den Boxhandschuen in den Händen

Foto: Archiv

Die in Karlsruhe geborene Regina Halmich gehört zu den erfolgreichsten Boxerinnen aller Zeiten und trug dazu bei, das Frauenboxen in Europa populär zu machen. Als Amateurin wurde sie Deutsche Meisterin und Europameisterin im Kickboxen. Als Profiboxerin war sie während zwölf Jahren ungeschlagene Weltmeisterin. Ausserhalb des Rings kämpft Regina ehrenamtlich für das Recht von Kindern und Jugendlichen.   MyWorkout: Schon als Kind hast du mit Kampfsport begonnen: Judo, Karate, Kickboxen. Was hat dich als kleines Mädchen daran so begeistert?   Regina Halmich: Als ich 11 Jahre alt war, nahm mich eine Freundin mit ins Kampfsportcenter. Ich wollte einfach mal in einem Judo-Anfängerkurs mitmachen, später in Karate. Ein Trainer stellte fest, dass ich immer die Kickboxer beobachtete, und meinte, ich soll doch mal ins Kickboxen kommen. So wechselte ich mit ca. 13 Jahren ins Kickboxen und mit 14 oder 15 ins klassische Boxen.   Wann hast du deine Profi-Boxkarriere angefangen und was hat dich dazu motiviert?   Meine eigentliche Box-Karriere begann 1992. Mein Talent steckte eindeutig in den Fäusten – Faustkampf war von Anfang an meine Leidenschaft. Amateur-Boxen war damals für Frauen noch verboten. Das war der Grund, weshalb ich direkt bei den Profis startete. An Erfahrung fehlte es bei mir nicht, genügend konnte ich als Kickboxerin in der Profiliga bei der WKA (World Karate and Kickboxing Association) erwerben. Dort hatte ich schon um die 35 Kämpfe absolviert und war bereits amtierende Europameisterin.   Kampfsport wird noch immer stark mit Männern assoziiert. Wie fühltest du dich als Frau in der Boxwelt? Wie wichtig war es für dich zu zeigen, dass auch Frauen im Boxen erfolgreich sein können?   Beim Kickboxen gab es schon einige weibliche Vorbilder, nicht wirklich aber beim «reinen» Boxen. In den 90er-Jahren waren Frauen bei den «Gemischten Kampfkünsten», den sogenannten «Mixed Martial Arts», kurz MMA, auch schon dabei. Beim eigentlichen Boxsport waren Frauen aber eher die Ausnahme, erst recht am TV. Gerade in Deutschland war das Frauenboxen noch nicht akzeptiert. Kritik und Anfeindungen haben mich aber angespornt. Ich wollte zeigen, dass Frauen auch kämpfen können. Oftmals habe ich mit Männern trainiert, was für mich nichts Aussergewöhnliches war. Den nötigen Respekt habe ich mir erarbeitet. Natürlich musste ich mich genauso anstrengen wie meine männlichen Kollegen. Ich war eine Kämpferin und wollte keine Extrabehandlung. Heute – muss ich sagen – hat sich das Frauenbild stark zum Positiven verändert, gerade auch, was das Boxen anbelangt. Boxen ist derzeit nicht mehr so verpönt wie früher.   Während zwölf Jahren ungeschlagene Boxweltmeisterin – eine beachtliche Leistung! Wie hast du dich mental auf die Kämpfe vorbereitet?   Mental hatte ich nie ein Problem, denn ich habe immer an mich geglaubt, mich aber auch nie überschätzt. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Ich war immer fleissig und gab im Training Vollgas, d. h. ich ging mit meinen Trainingseinheiten ans Limit. All das stärkte mein Selbstvertrauen und verlieh mir vor den Kämpfen immer ein gutes Gefühl. Denn ich wusste, dass ich gewinnen kann und die Beste sein werde. Das beste Training nützt nichts, wenn die mentale Stärke fehlt. Ich merkte auch: Je mehr Leute mich kritisierten, desto stärker wurde ich. Vor Wettkämpfen legte ich auch immer Ruhephasen ein. Wichtig ist zudem, stressige Situationen zu meiden und keine belastenden Emotionen aufkommen zu lassen. Der Kopf muss frei sein.   Wie sieht ein effektives Boxtraining aus? Welche Tipps kannst du geben?   Die Vorbereitung auf eine Weltmeisterschaft dauert 8 bis 10 Wochen. Während dieser Zeit baut sich das Training auf. Am Anfang dieser Vorbereitungsphase steht viel Ausdauertraining auf dem Programm: zahlreiche Läufe, auch über längere Strecken, und ausgiebig Krafttraining. Je näher der Kampf heranrückt, desto mehr «Feintuning» ist angesagt. Also vermehrtes Training der Technik, der Ausdauer im High Intensity Bereich und natürlich des spezifischen Boxens. Zum High Intensity Training zählen Intervall-Läufe, d.h. Puls auf 180 Vollgas, dann in einer Minute wieder runter auf die Ausgangsherzfrequenz. Die letzten fünf Wochen vor dem Kampf sind für die Sparringphase reserviert. Während dieser Zeit wird viel mit einem Partner im Ring trainiert. Die letzten acht Tage «vor dem Sturm» sind nochmals einigen intensiven Techniktrainings sowie der Taktikbesprechung und der Regeneration gewidmet.   Gute Vorbereitung und Trainings sind das eine, aber wie lassen sich im Ring tatsächlich Kämpfe gewinnen?   Wie bereits gesagt, ist die mentale Stärke wichtig. Aber auch der Instinkt oder der sogenannte Ring-IQ. Das bedeutet, das Gegenüber zu lesen und richtig einzuschätzen. Wie bei einem Schachspiel muss ich der Gegnerin immer einen Zug voraus sein. Es gibt auch den Begriff des «Instinktboxers», der im Ring regelrecht tanzt und den Gegner mit Rück- und Seitwärtsbewegungen in die Irre führt. Man kann viel trainieren, aber am Kampftag muss man 100% abrufen können und das in einer absoluten Stresssituation. Wichtig ist, immer die innere Ruhe zu bewahren. Da die grossen Kämpfe immer spät abends bzw. nachts stattfinden, mache ich manchmal einen Mittagsschlaf, damit ich für den Kampf erholt bin. Oder einen Spaziergang im Wald zusammen mit dem Trainer ist auch förderlich. Sollte man tatsächlich am Kampftag nicht top erholt oder etwas müde sein, muss man gegen sich antreten, dann hält einen das Adrenalin wach. Mit extremen Situationen umgehen können unterscheidet «Weltklasse» von «Nicht-Weltklasse». Einige sind eben nur «Trainings-Weltmeister», d.h. sie sind im Training die Besten, aber im finalen Kampf verlieren sie.   2007 hast du deine Boxerkarriere beendet. Was war der Grund?   Es gab mehrere Gründe. Mit 30 Jahren hatte ich über 56 Profikämpfe absolviert und alle gewonnen. Die letzten drei bis vier Jahre verdiente ich auch richtig gut. Alles war stimmig. Ich wollte aber auf dem Höhepunkt aufhören. Für mich war es der richtige Zeitpunkt, hatte ich doch alle Rekorde gebrochen. Man darf das Glück nicht zu lange herausfordern. Die Trainingseinheiten wurden immer schwerer und der Körper war müde.Auch wenn man mit 30 noch sehr jung ist, hinterlässt der Profisport seine Spuren.   Du siehst immer fit und sportlich aus. Wie machst du das?   Mir ist wichtig, dass ich mich gesund und fit fühle. Ich trainiere nicht mehr so hart wie früher, aber noch immer, um fit und gesund zu bleiben. Auf dem Kreuzfahrtschiff MS Europa 2 gebe ich Boxtraining, zusammen mit Sven Ottke, 1998 bis 2004 Profiboxer und Weltmeister. In unserer Freizeit besuchen wir spannende Orte der Welt. Auch die Abendshow «The Biggest Loser» habe ich moderiert. Was ich damit sagen will: Nach meiner Boxkarriere waren Sport und Gesundheit immer ein Teil von mir. Was die Ernährung betrifft, bin ich allerdings nicht mehr so diszipliniert und gönne mir gerne auch mal etwas Leckeres. Nach 25 Jahren Profisport mag ich keine Verbote mehr. Doch wie die meisten Frauen, schaue ich in den Spiegel und wenn ich feststelle, dass die Hose spannt, zügle ich mich wieder. In dieser Hinsicht bin ich also eine ganz «normale» Frau (lacht).   Regina Halmich Foto: Archiv   Die Medien verleihen dir den Titel «Schönste Boxerin der Welt». Hast du nebst regelmässigem Sport noch weitere Geheimnisse, um jung auszusehen?   (lacht) Ich glaube nicht, dass ich die schönste Boxerin der Welt bin. Vermutlich meinen sie, ich sähe weiblich aus. Ich bin abseits des Boxens immer auch Frau, mag schöne Kleider, auch mal einen Rock und hohe Schuhe. Trotz des harten Sports bin ich Frau geblieben. Meine Weiblichkeit zeige ich auch gerne ausserhalb des Rings. Aber Geheimnisse gibt es keine. Ich lege Wert auf ein gepflegtes Äusseres, bin nicht nur Kämpferin.   Du bist die fünfte Frau und die zweite Deutsche – nach Max Schmeling –, die 2022 in die International Boxing Hall of Fame (IBHOF) aufgenommen wurde.   Das war in Fort Lauderdale. Als weltweit sechste Frau und zweite Deutsche wurde ich neben Boxgrössen wie Muhammad Ali und Mike Tyson in die Hall of Fame des Boxens aufgenommen und ausgezeichnet.   Würdest du, wenn du nochmals von vorne beginnen könntest, den gleichen Weg einschlagen?   Ja, ich würde alles wieder genauso machen. Auch mit all den Fehlern und dem anstrengenden Weg; es hat sich gelohnt. Für viele Frauen bin ich ein Vorbild, denn ich habe gezeigt, was alles erreicht werden kann, wenn man an sich glaubt. Es war mein Weg und der war der richtige!   Was ist dir heute im Leben ganz besonders wichtig?   Eine solide Grundlage: Familie, Freundschaften. Für mich ist auch wichtig, das Leben anzuerkennen. Ich war weltbeste Boxerin. Das lässt sich nicht toppen. Aber man kann nicht überall die Beste sein. Auch die kleinen Dinge im Leben schätze ich sehr. Dann die Dankbarkeit. Ich hatte viel Glück, «gutes» Geld verdient, treue Sponsoren und Erfolg gehabt, durfte ganz oben auf dem Podest stehen. Dafür bin ich dankbar. Vielen Sportlern ist dieses Glück nicht vergönnt, gerade im Kampfsport nicht.   War es wirklich Glück oder doch eher harte Arbeit?   Über lange Zeit Erfolg zu haben ist kein Glück, es ist harte und ehrliche Arbeit. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Damals bescherte der deutsche Boxer Henry Maske dem Boxsport einen grossen Boom. Seine Popularität und die TV-Präsenz waren ein Glücksfall. Aber auf solche Momente hat man keinen Einfluss, auch wenn man alles gibt. Ein bisschen Glück gehört immer dazu: Die richtigen Leute treffen und ein gutes Umfeld haben, das an einen glaubt. Auch mein Team war toll, alleine hätte ich es nicht geschafft. Zu Beginnwollte man mich am TV nicht zeigen, weil ich eine Frau bin. Zu gross war die Skepsis. Mein Promoter, Klaus Peter Kohl, hatte sich für mich eingesetzt und schliesslich durchgesetzt – ich wurde doch noch am Fernseher gezeigt.   Gibt es noch etwas, das du den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben möchtest?   Für mich ist es wichtig, die Frauen zu ermutigen. Mein Appell an alle: Glaubt an euch und zweifelt nicht. Erzählt und zeigt, was ihr alles könnt. Egal ob Mann oder Frau: Verfolgt eure Träume und lasst Taten folgen. Dann habt ihr auch einen Grund, euch anzustrengen.     Interview mit Regina Halmich – geführt von Mark Dickenmann