Foto: Daniel Gildner
Fortschritt im Training ist kein Zufallsprodukt und entsteht selten durch reines Mehr an Gewicht oder Wiederholungen. Viel entscheidender ist die gezielte Arbeit an den individuellen Schwachstellen des eigenen Körpers. Studien belegen, dass präzises Training dort, wo Defizite bestehen, zu nachhaltigem Muskelaufbau, besserer Leistungsfähigkeit und geringerer Verletzungsanfälligkeit führt (Kraemer & Ratamess, 2004). Dieses Konzept des Schwachstellen-Trainings ist essenziell – gerade für Sportler, die Plateaus überwinden oder ihre Leistung ganzheitlich verbessern wollen.
Was sind Schwachstellen?
Schwachstellen sind individuelle Defizite in Kraft, Beweglichkeit oder muskulärer Balance. Diese können sich entweder sichtbar äussern, etwa durch asymmetrische Muskelentwicklung, oder funktionell sein – zum Beispiel durch mangelnde Stabilität oder eingeschränkte Koordination (Zatsiorsky & Kraemer, 2006). Werden diese nicht gezielt angegangen, steigt das Risiko für Fehlbelastungen und Überlastungen. Gleichzeitig wird der Trainingsfortschritt gebremst.
Warum Schwachstellen erkennen und angehen?
Gezieltes Schwachstellen-Training bringt den Körper wieder ins Gleichgewicht. Muskuläre Dysbalancen werden reduziert, was zu einer besseren Bewegungsökonomie führt – sowohl im Alltag als auch im sportlichen Kontext. Durch die systematische Korrektur von Defiziten werden Kraftpotenziale ausgeschöpft und das Verletzungsrisiko deutlich gesenkt (Behm et al., 2010).
Analyse statt Aktionismus
Bevor Trainingspläne angepasst werden, steht die Analyse im Vordergrund. Bewegungsaufnahmen, Krafttests und Mobilitätschecks (z. B. Thomas-Test oder Overhead Squat) decken technische Defizite, Schwächen und eingeschränkte Beweglichkeit auf (Schoenfeld, 2010). Erst auf dieser Grundlage kann ein wirklich präziser und wirksamer Trainingsplan erstellt werden.
Grundübungen als Gradmesser und Werkzeug
Grundübungen wie Bankdrücken, Kniebeugen oder Kreuzheben sind nicht nur leistungssteigernde Basisbewegungen, sondern auch hervorragende Tools zur Identifikation von Schwachstellen. Ihre Komplexität offenbart, wo der Körper nicht effizient arbeitet – und wo gezielte Intervention gefragt ist.
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Bankdrücken – Präzision für Brust und Trizeps
Das Bankdrücken zählt zu den bekanntesten Kraftübungen für den Oberkörper. Die Bewegung verläuft über drei zentrale Phasen: Direkt nach dem Absenken ist die Brustmuskulatur besonders gefragt. In der mittleren Phase übernehmen vordere Schultern und zunehmend der Trizeps. Beim sogenannten «Lock Out» entscheidet primär der Trizeps über Erfolg oder Misserfolg der Wiederholung.
Je nach Schwachstelle lassen sich gezielte Trainingsreize setzen: Wer am Start Schwierigkeiten hat, profitiert von der «Pause Bench» oder dem Bankdrücken mit Ketten, um die Explosivität zu fördern. Close-Grip-Varianten und Skull Crusher stärken den Trizeps für die Endphase. Brustfokussierte Übungen wie Fliegende oder Decline Press verbessern die Kraft in der unteren Bewegung.
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Kniebeuge – Königsklasse der Unterkörperkraft
Die Kniebeuge ist das Paradebeispiel für koordinierte Kraftentwicklung im Unterkörper. Im tiefsten Punkt – oft als «In the Hole» bezeichnet – arbeiten Gluteus, Beinbeuger und Quadrizeps maximal zusammen. In der mittleren Aufwärtsbewegung übernehmen Quadrizeps und Gesäss dominanter die Kontrolle. Der Abschluss (Lock Out) erfolgt fast ausschliesslich über den Quadrizeps.
Gezielte Varianten helfen, einzelne Phasen zu verbessern: Speed Squats mit Bändern steigern die Explosivität. Box Squats geben Kontrolle über die Tiefe. Frontkniebeugen legen den Fokus auf die vordere Oberschenkelmuskulatur, während «Hip Thrusts» den Gluteus gezielt stärken. Good Mornings bieten wertvolle Impulse für den unteren Rücken – eine oft vernachlässigte Region.
Kreuzheben – Rückgrat für die hintere Kette
Das Kreuzheben fordert die gesamte rückseitige Muskelkette: vom Quadrizeps über die Gesässmuskulatur bis hin zum Rückenstrecker. Im unteren Drittel der Bewegung unterstützen die vorderen Oberschenkel. Rund um das Knie ist vor allem ein stabiler unterer Rücken gefragt. Ab der Mitte übernehmen Gesäss, Beinbeuger und oberer Rücken.
Zur Optimierung eignet sich der Einsatz verschiedener Varianten: Das Sumo-Kreuzheben betont die Beinführung, während das konventionelle Kreuzheben stärker auf den Rücken wirkt. Zusatzgeräte wie Bänder oder Ketten erhöhen den Widerstand in der Endphase. Ruderbewegungen und Klimmzüge stärken ergänzend den oberen Rücken, Good Mornings die untere Rückenpartie.
Dips – funktionale Multigelenksübung
Dips aktivieren Trizeps, Brust und vordere Schultern – je nach Körperhaltung mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Eine nach vorne geneigte Position verstärkt den Brustanteil, eine aufrechte Haltung fokussiert den Trizeps. Gewichtsbelastete Varianten erhöhen den Trainingsreiz. Ergänzende Übungen wie Trizepsdrücken oder Fliegende helfen dabei, Defizite gezielt zu adressieren.
Klimmzüge – Zugstarke Klassiker
«Weighted Klimmzüge» sind exzellent für den Latissimus, mit zusätzlichem Reiz für Bizeps und Rumpf. Die Griffvariation (Ober-, Unter-, Parallelgriff) verändert den Fokus. Eine saubere, kontrollierte Technik steigert die Effektivität und minimiert Verletzungsrisiken.
Sticking Points gezielt überwinden
Trainingsplateaus entstehen oft an sogenannten «Sticking Points» – jenen Bewegungsphasen, in denen der Körper stark abbremst oder die Wiederholung nicht mehr kontrolliert abschliessen kann. Um diese zu überwinden, helfen drei Strategien:
- Explosivkrafttraining: Übungen mit Bändern, Ketten oder beschleunigtem Tempo helfen, in schwierigen Phasen mehr Kraft zu mobilisieren.
- Isoliertes Muskeltraining: Die gezielte Kräftigung der schwächsten Muskelgruppe innerhalb einer Bewegung – etwa durch «Skull Crusher» für den Trizeps oder «Hip Thrusts» für den Gluteus – verbessert die Gesamtleistung.
- Spezifische Bewegungszonen trainieren: Teilwiederholungen oder isometrisches Halten (z. B. in der tiefsten Kniebeugeposition) setzen gezielt Reize genau dort, wo sie gebraucht werden.
Beispielhafte Zuordnung von Schwachstellen und Übungen
Übung | Sticking Point | Zielmuskeln | Effektive Übungen |
Kniebeuge | Tief («In the Hole») |
Gluteus, Beinbeuger, Quadrizeps | Frontkniebeuge, Hip Thrust, Romanian Deadlift |
Mitte | Quadrizeps, Gluteus | High Bar Squat, Split Squat | |
Lock Out | Quadrizeps | Beinpresse, Ausfallschritte | |
Bankdrücken | Startphase | Brust, Schulter, Latissimus | Pause Bench, Fliegende, Breitgriff Bankdrücken |
Mitte | Vordere Schulter | Arnold Press, Überkopfdrücken | |
Lock Out | Trizeps | Enger Griff, Skull Crusher, Trizeps-Dips | |
Kreuzheben | Unter Knie | Quadrizeps | Frontkniebeuge, Beinpresse |
Kniebereich | Unterer Rücken | Good Mornings, Rückenstrecker | |
Oberhalb Knie | Gluteus, Beinbeuger, Latissimus | Hip Thrust, Klimmzüge, T-Bar Rows |
Fortschritt systematisch dokumentieren
Nur was gemessen wird, lässt sich gezielt verbessern. Videoanalysen helfen, technische Fehler zu erkennen. Eine konsequente Trainingsdokumentation – inklusive Last, Tempo und subjektiver Belastung – ermöglicht es, Fortschritte sichtbar zu machen und den Trainingsplan kontinuierlich anzupassen.
Fazit
Mehr Training bringt nicht zwangsläufig mehr Erfolg. Entscheidend ist die Qualität und Präzision der Reize. Wer seine Schwachstellen kennt, versteht und gezielt trainiert, entwickelt nicht nur mehr Kraft, sondern auch ein harmonisch funktionierendes, leistungsfähiges System. Ein smarter Körper ist ein starker Körper – und der wächst nicht durch Zufall, sondern durch kluge Strategie.
Von Daniel Gildner, PhD Cand MSc BSc Sportwissenschaftler, Pro Natural Bodybuilder & Strength Coach
Quellen:
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Behm, D. G., Drinkwater, E. J., Willardson, J. M., & Cowley, P. M. (2010). The use of instability to train the core musculature. Strength and Conditioning Journal, 32(3), 43–47. https://doi.org/10.1519/SSC.0b013e3181df4525
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Kraemer, W. J., & Ratamess, N. A. (2004). Fundamentals of resistance training: Progression and exercise prescription. Medicine & Science in Sports & Exercise, 36(4), 674–688. https://doi.org/10.1249/01.MSS.0000121945.36635.61
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Schoenfeld, B. J. (2010). Squatting kinematics and kinetics and their application to exercise performance. Journal of Strength and Conditioning Research, 24(12), 3497–3506. https://doi.org/10.1519/JSC.0b013e3181bac2d7
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Zatsiorsky, V. M., & Kraemer, W. J. (2006). Science and practice of strength training (2nd ed.). Human Kinetics.