Fitnesssport mit Diabetes – geht das?

Frau im fitnessstudio schaut sich im spiegel an

Foto: Marc Gilgen

Im Alter von 17 Jahren wurde bei mir Diabetes Typ 1 diagnostiziert. Eine Stoffwechselerkrankung, bei der die Bauchspeicheldrüse kein lebensnotwendiges Insulin mehr produziert, welches deshalb von aussen zugefügt werden muss. Das Hormon Insulin ist dafür zuständig, den Blutzuckerspiegel zu regulieren und die Nährstoffe über die Blutbahnen zu den Zellen zu transportieren.
 
Diabetes zu haben, bedeutete für mich eine extreme Lebensumstellung. Ich musste mich intensiv damit auseinandersetzen, was ich esse und welche Mengen an Makronährstoffen in welchen Lebensmitteln enthalten sind. Heute aber bin ich daran gewöhnt, aber um einen stabilen Blutzuckerspiegel halten zu können, muss ich jeden Tag alle möglichen Faktoren berücksichtigen. Dazu gehört in erster Linie, die Menge an Kohlenhydraten zu berechnen, welche ich zu mir nehme, und das dafür benötigte Insulin entsprechend einzuschätzen und zu verabreichen. Doch nicht nur die Ernährung hat Einfluss auf den Blutzucker, sondern auch:

  • Sportliche Aktivitäten
  • Zu wenig Flüssigkeitszufuhr
  • Gesundheitszustand physisch und psychisch wie bspw. eine Erkältung oder Stress
  • Zu- und Abnahme an Körpergewicht
  • Alkoholkonsum
  • Die richtige Aufbewahrung des Insulins (darf nicht zu warm oder zu kalt gelagert werden)
  • Das Wetter, etc.

All das muss zusätzlich beachtet und miteinberechnet werden.
 
Ich verwende zwei Arten von Insulin. Das Basalinsulin, das die Ausschüttung von Zucker aus der Leber reguliert, spritze ich mir einmal am Tag. Die Wirkungszeit beträgt 24-36 Stunden, das bedeutet, der Bedarf muss 1-2 Tage im Vorfeld geplant sein. Als zweites Insulin nutze ich das Essensinsulin, dessen Wirkung ca. 15 Minuten nach der Injektion einsetzt und ca. 3 Stunden anhält. Die maximale Wirkung entfaltet es nach ca. 90 Minuten, aber auch hier muss ich im Vorfeld planen, was ich esse und wie viel davon. Sobald ich das Insulin verabreicht habe, bin ich auf die Zuckerzufuhr angewiesen. Dementsprechend muss ich immer hinsichtlich des aktuellen Blutzuckerwerts entscheiden, ob ich vor oder nach dem Essen spritze. Schnelle Zucker sollten Diabetiker vermeiden, da diese schnell in die Blutbahnen gelangen und anschliessend nicht lange anhalten. Eine Blutzucker-Schwankung ist dann vorprogrammiert.
 
Optimal sind Vollkornprodukte, deren Nährstoffe langsam ins Blut gelangen und lange anhalten, so dass sie vom Insulin gut abgedeckt werden können. Vorausgesetzt natürlich, die verabreichte Insulinmenge ist richtig dosiert. Wenn Kohlenhydrate mit Ballaststoffen oder Fetten gegessen werden, kann dies die Zuckeraufnahme ebenfalls verlangsamen. Eine grössere Eiweiss-Einnahme bewirkt ebenfalls, dass der Blutzucker 2-3h später ansteigt und muss mit Insulin abgedeckt werden.
 
Spritzt man zu viel Insulin, kommt es zu einer lebensbedrohlichen Unterzuckerung bzw. Hypoglykämie (unter ca. 4,0 Millimol pro Liter), die innerhalb weniger Minuten schwere bleibende Schäden verursachen und bis zum Tod führen kann. In dieser Situation sollte man möglichst schnellen Zucker konsumieren, der rasch in die Blutbahnen zirkuliert.
 
Wenn der Blutzucker zu hoch ist (über ca. 8,0 mmol/l) spricht man von einer Überzuckerung bzw. Hyperglykämie. Sie ist zwar nicht akut lebensbedrohlich, kann jedoch langfristig gravierende Schäden verursachen und zu Herzinfarkt, Schlaganfall, Nervenschädigung, Schädigung der Nieren, Erblindung, Taubheit in den Gliedmassen, Amputationen, erhöhter Verletzungs- und Infektionsgefahr oder der Verzögerung von Heilprozessen führen. Deshalb sind gut eingestellte Blutzuckerwerte dringend notwendig.

Fitnessathletin mit Diabetes – das geht!

Frau im Fitnessstudio auf einer Hantelbank

Foto: Marc Gilgen

Seit 2016 habe ich den Fitnesssport für mich entdeckt und gehe je nach Ziel und Prioritäten 2-6x in der Woche ins Fitnessstudio. Ich habe zudem auch schon einige Bühnenwettkämpfe (SNBF) bestreiten dürfen. Neben der strikten Einhaltung von Ernährungs- und Trainingsplänen, kommt die zusätzliche und in meinen Augen die grösste Herausforderung hinzu, den Blutzuckerspiegel stabil halten zu können, ohne von den Plänen zu stark abweichen zu müssen.

 

Je nach Dauer und Intensität einer sportlichen Aktivität beeinflusst es den Insulinbedarf, was das Aufrechterhalten eines stabilen Blutzuckerspiegels erschwert. Wenn die Aktivität mit hoher Anstrengung bzw. körperlichem Stress (wie z.B. Beintraining, oder Intervall-Training) im Zusammenhang steht, steigt der Blutzuckerspiegel, weil durch Stresshormone Glukose aus der Leber freigesetzt wird, was wiederum zusätzliches Kurzzeit-Insulin benötigt. Bei weniger Intensität und niedrigerem Puls wie z.B. bei Ausdauertraining, welches den Stoffwechsel ankurbelt und keine Glukoseausschüttung verursacht, sinkt der Insulinbedarf und auch der Blutzuckerspiegel fällt während dem Training und noch Stunden danach nach unten. Dies kann z.B. zu einer Unterzuckerung führen, wenn die Insulinmenge vor dem Training nicht genug reduziert, oder nichts gegessen wurde.

 

Es muss also genau abgeschätzt werden, wie sich der Blutzuckerspiegel durch das Training verändern wird, was aber von Tag zu Tag unterschiedlich sein kann. Ein zu tiefer Blutzucker bedeutet das Training sofort unterbrechen zu müssen und Zucker zu sich zu nehmen. Erst wenn sich die Werte wieder im Normalbereich befinden, kann weitergemacht werden. Vor allem für die Psyche und die Motivation sind solche Unterbrüche sehr mühsam. Sie bedeuten zudem für den Körper eine enorme Anstrengung und einen grossen Energieverlust.

 

Die hohen und schwankenden Blutzuckerwerte können einen negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Konzentration haben. Ein kontinuierlich zu hoher Blutzuckerspiegel begünstigt Sportverletzungen und bringt gesundheitliche Gefahren mit sich. Fitnesssportlerinnen und -sportler mit Diabetes sollten sich daher mit ihrem Hausarzt hinsichtlich der jeweils möglichen Belastungsmöglichkeiten absprechen.

 

Diabetes bedeutet auch für viele Betroffene und für mich, tendenziell einen schlechten Stoffwechsel zu haben. Somit muss dieser z.B. mit bedeutend öfteren Ausdauertraining und strukturierter Ernährung wieder hergestellt werden. Gerade in einer Diät ist der Stoffwechsel für die Fettverbrennung sehr entscheidend. Zudem hemmt das lebensnotwendige Insulin den Fettabbau und kann Wasser unter die Haut ziehen, was z.B. für den Wettkampf bzw. für das „trockene“ Erscheinungsbild von Nachteil ist. Somit darf ich in einer Wettkampfdiät kaum Kohlenhydrate zu mir nehmen, um Insulin einsparen zu können, wodurch ich kaum direkte Energie erhalte. Auch kurz vor dem Wettkampf, ist abzuschätzen, was die richtige Vorgehensweise ist. Mehr Kohlenhydrate zu essen, um die Muskeln zu füllen und gross erscheinen zu lassen, jedoch mit der Gefahr Wasser unter die Haut zu ziehen, oder dann nicht mit Kohlenhydraten aufzuladen, um die „Trockenheit“ und Definition nicht zu gefährden und dafür weder einen Muskelpump noch Energie auf der Bühne zu haben.

 

Die Motivation und die richtige Einstellung macht’s aus

Meine Organe sind durch den Diabetes sicherlich vorbelastet und es ist mir ein Anliegen etwas für meine Gesundheit zu tun. Deshalb ist es mir umso wichtiger, auf nicht natürliche Mittel zu verzichten. Ich versuche einfach trotz der Krankheit das Bestmögliche aus mir herauszuholen und schätze all das, was ich auf diesem „erschwerten“ Weg über mich und meinen Körper dazu lernen und erreichen darf. Gerade die intensive Wettkampfvorbereitung hat dafür gesorgt, dass ich über meine Grenzen hinaus gehen musste und dadurch umso mehr für mich und mein Leben mitnehmen konnte.

 

Der Fitnesssport bedeutet für mich mehr als nur Bewegung, es ist für mich zu einer Lebenseinstellung geworden, welche mir auf verschiedenen Ebenen etwas zurück gibt. Der Sport bringt mir Freude, sowie körperliches und psychisches Wohlbefinden + Gesundheit, er gibt mir eine Struktur, einen Ausgleich zum Arbeitsalltag, eine gesunde und ausgewogene Ernährung, ein besseres Körpergefühl, mehr Selbstsicherheit, sowie die Möglichkeit mich persönlich weiterzuentwickeln. Bezüglich meiner Krankheit erhalte ich einen effizienteren Zuckerstoffwechsel, kann dadurch meine Blutzucker Werte besser einstellen und weitere Gefäss- und Organ-Schädigungen durch den Diabetes vorbeugen.

 

Der Diabetes Typ 1 bringt im Fitnesssport einige Hürden mit sich und es braucht viel Disziplin und Akzeptanz von Tatsachen, die sich nicht ändern lassen. Denn noch wollte ich mir nie eine „Grenze“ definieren, denn jeder bestimmt selbst, was er aus seiner Ausgangslage herausholen möchte. Es kommt nur darauf an, ob es einem genug Wert ist, alle Ausreden fallen zu lassen, bereit ist durchzuhalten und härter zu arbeiten, als alle anderen.

 

Autorin: Natalie Friedli, SNBF-Athletin